Staatsgrundgesetz Helvetiens
("Verfassung der Notablen")

vom 20. Mai 1802 (Entwurf) bzw.
vom 2. Juli 1802 (Bestätigung und Verkündung)

 

Erster Titel.

1. Die christliche Religion, nach dem katholischen und evangelisch-reformirten Glaubensbekenntniß, ist die Religion des Staates.

Zweiter Titel
Gebietseintheilung.

2. Die helvetische Republik bildet nur Einen Staat.

3. Diese sind:
    Appenzell, in den gegenwärtigen Gränzen des Cantons Santis, mit dem District Neu St. Johann.
    Aargau, mit dem ganzen ehemaligen Amt Aarburg, der ehemaligen Landvoigtey Baden, und den untern Freiämtern.
    Basel, in seinen diesmaligen Gränzen.
    Bern, in seinen diesmaligen Gränzen, mit Ausnahme der dem Canton Aargau einverleibten Gemeinden des vormaligen Amts Aarburg, vereinigt mit dem Canton Oberland.
    Freiburg, in seinen diesmaligen Gränzen, mit Ausnahme der ehemaligen Voigteien Avanches und Payerne.
    Glarus, in den diesmaligen Gränzen des Cantons Linth, mit Ausnahme des Districts Neu St. Johann, der March, Reichenburg und der Höfe.
    Lucern, in seinen diesmaligen Gränzen, mit Ausnahme des Amts Merischwand, vereinigt mit dem Hitzkircher Amt.
    Graubündten, in seinen dermaligen Gränzen.
    Schafhausen, in seinen dermaligen Gränzen.
    Schwyz, bestehend aus den dermaligen Bezirken Schwyz, Arth und Einsiedeln, nebst der March, den Höfen und Reichenburg.
    Solothurn, in seinen dermaligen Gränzen.
    Tessin, in den diesmaligen Grenzen der Cantone Lugano und Bellinzona.
    Thurgau, in seinen dermaligen Gränzen.
    Unterwalden, in den dermaligen Gränzen der Districte Sarnen und Stanz.
    Uri, in den dermaligen Gränzen der Districte Altdorf und Andermatt.
    Waadt, in seinen dermaligen Gränzen, vereinigt mit den ehemaligen Landvoigteien Acanches und Payerne.
    Zug, bestehend aus dem bisherigen Bezirk Zug, den obern Freiämtern und dem Amt Marischwand.
    Zürich, in seinen dermaligen Gränzen.

5. Die erforderlichen Gränzberichtigungen zwischen den Cantonen sind dem Gesetz überlassen.

Dritter Titel.
Politischer Stand der Bürger.

6. Es giebt keine Geburtsvorrechte unter den helvetischen Bürgern.

7. Keine Ehrentitel noch Vorrang, als die von öffentlichen Stellen herrühren, sind anerkannt.

8. Helvetische Bürger sind:
1) alle diejenigen, welche sich gegenwärtig im Besitz des helvetischen Staatsbürgerrechts befinden;
2) die Söhne der helvetischen Bürger;
3) die Fremden, denen das Gesetz das Staatsbürgerrecht ertheilt.

9.  Das Gesetz wird über die Ausübung des Staatsbürgerrechts verfügen; es wird ebenfalls die Art der Erwerbung, so wie die Fälle des Verlustes und der Einstellung desselben festsetzen.

Vierter Titel
Grundeigenthum.

10. Kein Grundstück kann für unveräußerlich erklärt, noch mit einer immerwährenden Abgabe belastet werden.

11. Alle Abgaben dieser Art, welche gegenwärtig bestehen, namentlich die Zehnten und Grundzinsen, sind loskäuflich.

12. Die Art dieses Loskaufs soll spätestens bis zum 1. Januar 1803 festgesetzt werden.

Fünfter Titel
Grundlagen der Verfassung.

13. Die allgemeine Staatsverwaltung umfaßt alle Gegenstände, des gemeinsamen Wohls, und die der Souverainitätsausübung wesentlich angehören, als:
    die innere und äußere Sicherheit der Republik;
    die freundschaftlichen, politischen und Handelsverhältnisse mit den auswärtigen Mächten;
    die allgemeinen Verfügungen über das Kirchenwesen, insoweit es von der weltlichen Gewalt abhängt, und über den öffentlichen Unterricht;
    die Aufsicht über die Rechtspflege;
    die Leitung des Straßen-, Wasser- und Brückenbaues, insoweit es von der weltlichen Gewalt abhängt, und über den öffentlichen Unterricht;
    den Bergbau;
    die Pulver- und Salpeterfabrication; die Verwaltung der für allgemeine Bedürfnisse angewiesenen Waldungen, so wie der Salzwerke, und den Handel mit auswärtigem Salz;
    das Postwesen;
    die Verfertigung und Polizei der Münzen; überhaupt das Nationalvermögen, welches besonders zu den allgemeinen Ausgaben geeignet ist;
    den Handel und die Industrie mit ihrer Beziehung auf die Rechte des Bürgers und den allgemeinen Wohlstand; die Gesundheitspolizei, die Aufsicht über das Forstwesen.

Die Gewalt, über diese Gegenstände zu verfügen, ist einer Tagsatzung, einem Senate, und einem Vollziehungsrathe übertragen.

14. Jeder Canton bestimmt seine besondern Ausgaben und die Mittel zu Bestreitung derselben.

Er liefert auf die ihm angemessen scheinenden Weise seinen gesetzlich bestimmten Beitrag zu den allgemeinen Ausgaben.

Er setzt, unter den im Titel XII. angeführten Einschränkungen, die Einrichtung seines Gerichtswesens fest.

Er hat die Besorgung der niedern Polizei.

Er verwaltet seien Liegenschaften, kann aber ohne gesetzliche Bevollmächtigung von Seite der Tagsatzung dieselbe nicht veräußern.

Er verwaltet seine Unterrichts- und Unterstützungsanstalten, so wie seine öffentlichen Stiftungen jeder Art.

Er sorgt für die Anlegung und Unterhaltung seiner besondern Straßen, Wege, Brücken und übrigen Werke solcher Art.

Dem zufolge setzt jeder Canton seine eigene Organisation fest; die zu dem Ende ausgefertigte Urkunde wird, nach ihrer Einregistrirung, in die Archive des Senats niedergelegt, und bleibt unter der Garantie der Nation.

Sechster Titel
Gesetzgebende Gewalt.

15. Die Gesetze werden durch den Senat vorbereitet und entworfen, und durch die Tagsatzung beschlossen.

Im Fall dieselben neue Auflagen betreffen, werden sie den Cantonen vorgeschlagen. Wenn sie aber nicht eine Mehrheit von zwei Drittheilen der Cantone erhalten, so kann der Senat dieselben der Tagsatzung vorlegen.

Siebenter Titel
Tagsatzung.

16. Die Tagsatzung besteht aus den Stellvertretern aller Cantone, die in dem Verhältnisse von Einem auf 25.000 Seelen gewählt werden.

17. Jeder Canton hat wenigstens einen Stellvertreter in der Tagsatzung.

18. Die Mitglieder der Tagsatzung werden auf folgende Weise ernannt:

In jedem Canton sind zwei Wahlcorps, von welchen das eine den Vorschlag, und das andere die Ernennung hat.

Die Anzahl der Glieder des einen und anderen Corps wird im Verhältnisse mit der Bevölkerung eines jeden Cantons bestimmt.

In keinem Canton kann ein Wahlcorps aus mehr als 45 Mitgliedern bestehen.

Um Mitglied von dem vorschlagenden Wahlcorps zu werden, muß man ein Grundeigenthum besitzen von wenigstens 10.000 Franken in den größern Cantonen, und von wenigstens 2.000 Franken in den geringern Cantonen.

Im Fall einer Ernennung wird aus dem vorschlagenden Wahlcorps ein Dritttheil durchs Loos gezogen., welcher aus den Listen von Wählbaren, die im Verhältniß von wenigstens Einem auf hundert Activbürger durch das Volk zu bezeichnen sind, die für tüchtig erachteten zur Wahl vorschlägt.

Das Loos bezeichnet ebenfalls einen Drittheil des ernennenden Wahlcorps, welcher aus den Vorgeschlagenen die Ernennung vorzunehmen hat.

Die Einrichtung beider Wahlcorps, so wie die Vorschriften ihres Verfahrens sind dem Gesetz zu bestimmen überlassen.

Beide Wahlcorps ergänzen sich selbst aus den vom Volk errichteten Verzeichnissen von Wählbaren.

Die Mitglieder derselben können nicht selbst zu den Stellen gewählt werden, mit deren Besetzung sie beauftragt sind.

Ihre Stellen sind lebenslänglich.

19. Die Tagsatzung wird jährlich zum fünften Theil erneuert.

20. Sie versammelt sich auf den ersten Mai.

Ihre Sitzungen können einen Monat lang dauern.

Sie versammelt sich außerordentlich auf die Zusammenberufung des Senats, der in diesem Falle die Dauer ihrer Sitzungen bestimmt; auf das Verlangen der Mehrheit der Cantone wird sie ebenfalls von dem Senat zusammenberufen.

21. Die Tagsatzung kann keine Berathschlagung vornehmen, wenn nicht wenigstens zwei Drittheile ihrer Mitglieder gegenwärtig sind.

22. Sie berathschlagt über die ihr vom Senat vorgelegten Gesetzesentwürfe, und nimmt dieselben an, oder verwirft sie, unter geheimer Abstimmung.

23. Sie entscheidet über die Klagen, welche von den Cantonen gegen Verfügungen des Senats bei ihr einlangen.

24. Die Tagsatzung bestimmt jährlich auf den Vorschlag des Senats die allgemeinen Einnahmen und Ausgaben der Republik.

25. Sie wählt aus ihrer Mitte eine Rechnungscommission von fünf Mitgliedern, die auf fünf Jahre ernannt sind, und den Auftrag haben, die Staatsrechnungen zu untersuchen, und der Tagsatzung alljährlich darüber Bericht zu erstatten.

26. Sie ernennt die Mitglieder des Senats.

27. Die Sitzungen der Tagsatzung sind öffentlich.

28. Die Mitglieder derselben werden durch ihre Cantone entschädigt.

Achter Titel
Senat.

29. Der Senat besteht aus einem Landamman, zwei Landstatthaltern  und vier und zwanzig andern Mitgliedern.

30. Der Landammann führt bei dem Senat den Vorsitz.

31. Aus jedem Canton soll ein Mitglied des Senats, aus keinem können mehr als drei Mitglieder genommen werden.

32. Der Senat wird jährlich zum fünften Theil erneuert. Die austretenden Mitglieder sind wieder erwählbar.

33. Der Senat kann keine Berathschlagung vornehmen, wenn nicht wenigstens zwei Drittheile seiner Mitglieder gegenwärtig sind.

34. Der Senat schlägt die Gesetze vor, und kann sowohl in die Tagsatzung als zu den Cantonsbehörden eines oder mehrere seiner Mitglieder abordnen, um die Beweggründe derselben zu entwickeln und zu unterstützen. Auch ist er befugt, die von ihm vorgelegten Gesetzentwürfe im Laufe der Berathschlagung wieder an sich zu ziehen, um sie entweder ganz zurück zu behalten, oder mit Abänderungen neuerdings vorzuschlagen.

35. Auf den Vorschlag des Vollziehungsraths beschließt der Senat die Verordnungen, welche er, um die Vollziehung der Gesetze zu sichern, für nothwendig erachtet.

36. Der Senat schlägt der Tagsatzung, wenn es der Fall ist, Kriegserklärungen vor. Er schließt Frieden, Bündnisse und Handelsverträge; die zufolge dieser Befugniß von ihm ausgehenden Verhandlungen werden der Tagsatzung vorgetragen, welche über dieselben, gleich den Gesetzesvorschlägen, zu berathschlagen, und sie zu genehmigen oder zu verwerfen hat.

37. Der Senat entscheidet über die zwischen den Cantonen entstandenen Streitigkeiten im Verwaltungsfache.

38. Er belangt vor der Tagsatzung diejenigen Cantonsbehörden, die sich Eingriffe in die Verfassung zu Schulden kommen lassen.

39. Er erkennt über die Streitfälle, welche sich auf die von der Nation übernommene Garantie der Cantonalorganisation beziehen.

40. Er entscheidet über die in das Fach der allgemeinen Staatsverwaltung einschlagenden Streitigkeiten.

41. Der Senat bestimmt die Vertheilung der, für die allgemeinen Staatsausgaben der Regierung bewilligten, Summen.

42. Er läßt sich, so oft er es für gut findet, über den Zustand der Staatsverwaltung von dem Vollziehungsrath Rechenschaft geben.

43. Er hat das Recht, Strafurtheile zu mildern oder nachzulassen.

44. Der Senat kann sich vertagen; seine Vertagung soll nicht über drei Monate nach einander dauern, noch während des, der ordentlichen Zusammenkunft der Tagsatzung zunächst vorgehenden oder nachfolgenden, Monats Statt haben.

45. Der Senat ernennt aus seiner Mitte den Landamman und die beiden Landstatthalter.

Er ernennt, auf den Vorschlag des Vollziehungsraths, die Staatssecretaire.

46. Jedes Mitglied des Senats beziehet einen Gehalt von vier tausend Franken.

Neunter Titel
Vollziehungsrath.

47. Der Vollziehungsrath besteht aus dem Landamman und zwei Landstatthaltern, er hat zur Vollziehung seiner Befehle fünf Staatssecretaire:
    einen für das Departement der Justiz und Polizei,
    einen für die innern Angelegenheiten,
    einen für das Kriegswesen,
    einen für die Finanzen,
    und einen für die auswärtigen Angelegenheiten.

48. Der Landamman führt bei dem Vollziehungsrath den Vorsitz.

49. Die Mitglieder des Vollziehungsraths wechseln alljährlich in Bekleidung der Stelle eines Landammans ab.

Der abtretende Landamman erhält den Titel eines Landstatthalters. In Fällen von Krankheit oder Abwesenheit des Landammans vertritt ihn der zuletzt von dieser Stelle abgegangene Statthalter.

Beim Absterben des Landammans übernimmt der Statthalter, der zu seinem ordentlichen Nachfolger bestimmt ist, seine Verrichtungen.

50. Die Mitglieder des Vollziehungsraths sind für neun Jahre ernannt, und hiemit von der Verfügung des 32sten Artikels ausgenommen. Alle drei Jahre tritt ein Mitglied aus, ist aber sogleich wieder wählbar. Der erste Austritt geschieht im Jahr 1805.

51. Der Vollziehungsrath ist mit der Vollziehung der Gesetze und der auf die allgemeine Staatsverwaltung sich beziehenden Verordnungen beauftragt. Er bedient sich zu diesem Ende entweder besonders aufgestellter Beamten oder Cantonsbehörden.

52. Dem Vollziehungsrath sind die Befugnisse des Senats währens seiner Vertagung übertragen. Er übt sie, mit Ausnahme der Gesetzvorschläge, in ihrem ganzen Umfange aus.

53. Er leitet die bewaffnete Macht, und ernennt die ihr vorgesetzten Officiere.

54. Die Acten des Vollziehungsraths werden von den Staatssecretairs der betreffenden Departements mit unterzeichnet.

55. Die Staatssecretairs sind sowohl für die von ihnen mitunterzeichneten Acten des Vollziehungsraths, als für nicht die Nichtvollziehung seiner Aufträge und für ihre eigene Verhandlungen verantwortlich.

56. Die Staatssecretairs haben sowohl im Vollziehungsrath als in dem Senate rathgebende Stimme.

57. Der Vollziehungsrath hat die Leitung der auswärtigen Angelegenheiten. Er ernennt die diplomatischen und Handelsagenten im Auslande, und ruft sie von ihren Stellen ab.

58. Dem Vollziehungsrath kommt die Ernennung und Abrufung aller Beamten zu, der in den verschiedenen Theilen der Republik zu Vollziehung der allgemeinen gesetze unter ihnen angestellt sind.

59. Der Jahrgehalt des Landammans ist von fünfzehn tausend Franken; und der eines Statthalters von sechs tausend Franken.

Zehnter Titel
Gottesdienst.

60. Außer dem Gottesdienst der katholischen und reformirten Kirche ist auch die Ausübung jedes andern Gottesdienstes, der mit der bürgerlichen Ordnung in Übereinstimmung ist, unter den durch das Gesetz zu bestimmenden Einschränkungen gestattet.

61. Nur allein die Unterhaltung des katholischen und reformirten Gottesdienstes fällt dem gemeinen Wesen zur Last. Dem zufolge sorgt jeder Canton für die Unterhaltung seines Gottesdienstes und der Religionslehrer, vermittelst des Ertrags der bisher dem Staate zugehörigen Zehnten und Grundzinsen, die ihm zu dem Ende abgetreten werden, oder, in Ermangelung derselben, vermittelst besonderer Anweisung von andern hinreichenden Einkünften.

62. Die geistlichen Güter können nur zur Unterhaltung von religiösen, öffentlichen Unterrichts- oder Unterstützungsanstalten verwendet werden.

63. Sie können ohne gesetzliche Bevollmächtigung von Seiten der Tagsatzung weder veräußert, noch ihrer gegenwärtigen Bestimmung entzogen werden.

Eilfter Titel
Öffentlicher Unterricht.

64. Es soll durch besondere Anstalten der katholischen sowohl, als der reformirten Religion für die Bildung der Geistlichen gesorgt werden.

65. Es soll eine allgemeine Lehranstalt für die höhere wissenschaftliche Erziehung errichtet werden.

66. Mit dieser Lehranstalt soll eine Stiftung verbunden werden zu unentgeltlicher Unterhaltung der Studirenden, die sich in den Unterrichtungsanstalten der Cantone durch Sittlichkeit, Fähigkeiten und wissenschaftliche Fortschritte ausgezeichnet haben.

67. Bei Besetzung dieser Plätze soll die Volksmenge der Cantone keineswegs zum Maaßstab dienen.

Zwölfter Titel.
Gerichtswesen.

68. Das peinliche Gesetzbuch, so wie die peinliche Prozeßordnung, soll für die ganze Republik gleichförmig seyn.

69. Es sollen gleichförmige Forst- und Handelsgesetze abgefaßt, und besondere Handelsgerichte aufgestellt werden.

70. Es soll eine gleichförmige bürgerliche Prozeßordnung entworfen werden, die jedoch in keinem Cantone ohne seine Zustimmung eingeführt werden kann.

71. Es soll ein bürgerliches Gesetzbuch entworfen werden, dessen Einführung ebenfalls in keinem Canton ohne seine Einwilligung Statt haben kann.

72. Keine Behörde kann zugleich richterliche und administrative Verrichtungen ausüben.

73. Es können nicht mehr als zwei Instanzen in dem Gerichtswesen der Cantone aufgestellt werden.

74. Es soll ein oberster Gerichtshof seyn, vor welchen appellationsweise die bürgerlichen Streithändel gezogen werden können, deren Gegenstand den Werth von drei tausend Franken übersteigt, und bei denen zugleich entweder die Regierung, oder ein Canton, oder ein Fremder, oder Einwohner verschiedener Cantone eine oder beide Parteien ausmachen.

Vor diesem Gerichtshofe hat gleichfalls die Weitersziehung aller Urtheilssprüche Statt, welche Todessstrafe oder zehnjährige Einsperrung, oder zehnjährige Landesverweisung, oder im Falle politischer Vergehen irgend eine entherende Strafe oder eine Geldbuße von fünfhundert Franken und darüber, die sich bringen.

75. Der oberste Gerichtshof urtheilt über Anklagen, welche gegen die Staatssecretaire, in Bezug auf ihre Verrichtungen, geführt werden.

76. Er entscheidet in letzter Instanz über die gegen Beamte der allgemeinen Staatsverwaltung wegen Pflichtverletzung erhobenen Klagen, deren Zulässigkeit jedoch vor allem aus von dem Senat erkannt seyn muß; so wie über die von bürgerlichen und peinlichen Richtern in ihrer Amtsverwaltung begangenen Vergehen.

77. Das Gesetz bestimmt die Einrichtung des obersten Gerichtshofes.

Dreizehnter Titel
Staatseinkünfte.

78. Die Staatseinkünfte bestehen in dem Ertrag:
    des Salzverkaufs; der Salzwerke; der Posten; des Stempels; der Bergwerke; des Pulver- und Salpeterhandels; der zu den öffentlichen bedürfnissen bestimmten Waldungen; der Münzfabrication; der allgemeinen Zölle;

Überhaupt in dem Ertrag jeder Art von Regalien, so wie der gesetzlich eingeführten allgemeinen indirecten Abgaben, und der besondern Beiträge, die von den Cantonen nach Maaßgabe der in denselben befindlichen und ihnen überlassenen Nationalgüter eingefordert werden.

Der mit dem Justiz- und Polizeidepartement beauftragte Staatssecretair
Kuhn.

Vorstehende Verfassung verstand die Verfassung vom 29. Mai 1801 als ihre Grundlage, ebenso wie die, nur für wenige Tage in Kraft befindlichen Verfassung vom 24. Oktober 1801 und die nur wenige Monate in Kraft befindliche Verfassung vom 27. Februar 1802,

Nach dem "Staatsstreich" vom 28. April 1802, der von der französischen Besatzungsmacht unterstützt wurde, kam es schnell zur Einsetzung einer Versammlung aus Notablen (also Angehörigen der Oberschicht der Schweiz), die bereits am 30. April 1802 zusammentrat und den Kantonen am 20. Mai 1802 einen Verfassungsentwurf vorlegte. Der nach der Verfassung vom 27. Februar 1802 eingesetzte kleine Rat (in geänderter Zusammensetzung) war an diesem Verfassungsentwurf beteiligt.

Der Verfassungsentwurf, die sog. "Verfassung der Notablen", vom 20. Mai 1802 wurde zwar formal den Kantonen vorgelegt und mit Mehrheit angenommen, aber der Protest aus den innerschweizer Kantonen war stark. Der kleine Rat hat den Verfassungsentwurf am 2. Juli 1802 zum Staatsgrundgesetz Helvetiens erklärt.

Nach der Einsetzung der Staatsorgane noch Anfang Juli 1802 zogen sich die französischen Truppen aus der Schweiz zurück. Damit war der Weg frei für eine erneute Erhebung der kleineren und innerschweizer Kantone gegen die geltende Verfassung. Es kam zu einer Art Bürgerkrieg zwischen der schweizerischen Regierung und einigen Kantonen, der bis  Anfang Oktober 1802 andauerte, als erneut französische Truppen die Schweiz besetzten. 

Am 30. September 1802 erging eine Proklamation des Ersten Konsuls der Französischen Republik an das Schweizer Volk mit dem Vorschlag, ihn als Vermittler zwischen den streitenden Parteien einzusetzen. Im Dezember 1802 kam es zur Bildung einer schweizerischen Deputation (36 Mitglieder für das neue, 15 für das alte System) die gemeinsam mit dem Ersten Konsul als Vermittler eine neue Verfassung für die Schweiz erarbeiten sollte. Es kam zur sog. "Mediationsverfassung" vom 19. Februar 1803.
 


Quellen: K.H.L. Pölitz, Die europäischen Verfassungen seit dem Jahre 1789, Brockhaus Leipzig 1833
© 5. Mai 2005

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