vom 24. Oktober 1801
Die allgemeine helvetische Tagsatzung, durch die Gesetze vom 18. Heumonat 1801 und 2. Herbstmonat gleiches Jahres, in der Gemeinde Bern zusammen berufen, erklärt folgende Verfassung als die Verfassung der helvetischen Nation.
Erster Abschnitt
Gebietseintheilung.
§ 1. Die helvetische Republik bildet nur einen Staat, dessen Integrität durch die Verfassung gesichert wird. Es giebt nur ein helvetisches Staatsbürgerrecht, und keine politischen Cantonsbürgerrechte.
§ 2. Das Gebiet der helvetischen Republik ist in Cantone eingetheilt.
Diese sind:
1) Bern, in der Grenzbestimmung, nach welcher die ersten Cantonstagsatzung,
durchs Gesetz vom 26. Brachmonat 1801 zusammen berufen worden;
2) Zürich, ebenso;
3) Lucern, ebenso;
4) Uri, ebenso;
5) Schwyz, ebenso;
6) Unterwalden, ebenso;
7) Zug, ebenso;
8) Glarus, ebenso;
9) Appenzell, ebenso;
10) Solothurn, ebenso;
11) Freiburg, ebenso;
12) Basel, ebenso;
13) Schafhausen, wie es sich vor dem Gesetze vom 26. Brachmonat 1801 befunden;
14) Thurgau, ebenso;
16) Aargau in der Grenzbestimmung, nach welcher die erste Cantonstagsatzung
versammelt worden;
16) Waadt, ebenso;
17) Räthien, ebenso;
18) Tessin, ebenso;
19) Wallis, ebenso.
§ 3. Das Gesetz kann überhaupt die Eintheilung verbessern.
Zweiter Abschnitt
Kirchenwesen.
§ 4. Die Religionsübung des römisch-katholischen und evangelisch-reformirten Glaubensbekenntnisses, sammt den Kirchengütern, stehen unter dem besondern Schutze des Staats. Die geistlichen Güter überhaupt können zu keiner andern Bestimmung, als zu religiösen und sittlichen Bildungsanstalten, verwendet werden.
Die Cantone sorgen für den Unterhalt der Religionslehrer.
§ 5. Die allgemeine Verfügung über das Kirchenwesen könnt der gemeinsamen Regierung, die besondere Anwendung deselben aber den Cantonsbehörden zu; insoweit nämlich beides von der weltlichen Gewalt abhängt.
§ 6. Keine Religionspartei, deren Zwecke der sittlichkeit und öffentlichen Ordnung nicht zuwider laufen, ist von ihrer Religionsausübung ausgeschlossen.
Dritter Abschnitt
Attribute der gemeinsamen- und Cantonalorganisation.
§ 7. Es soll eine gemeinsame Organisation der Republik, für die Ausübung der Souverainität, welche bei der Gesammtheit des helvetischen Volkes steht, und eine Cantonalorganisation seyn.
§ 8. Die gemeinsame Organisation umfaßt:
die allgemeine Verfügung über das Kirchenwesen, iosofern es von der weltlichen
Gewalt abhängt.
§ 9. Das allgemeine höhere Polizeiweisen.
§ 10. Die bewaffnete Macht für die innere und äußere Sicherheit der Republik.
§ 11. Die politischen und diplomatischen Verhältnisse im Auslande.
§ 12. Die gesetzlichen Bestimmung des jährlichen Beitrags, den jeder Canton zu den Staatsbedürfnissen zu liefern hat.
§ 13. Das Eigenthum und die gesetzliche Verfügung über die Staatsschuld-Titel-Nationalgüter und Domainen, unter Vorbehalt der darauf haftenden Verpflichtungen.
§ 14. Die Nationalverwaltungen, wie Salz, Posten, Bergwerke, Pulver, Stempelgebühren, Kaufhäuser und Zölle.
§ 15. Die Verfertigung und Polizei der Münzen.
§ 16. Die Ordnung und allgemeine Polizei für den Handel. Die Unterhaltung der Heerstraßen und der auf denselben befindlichen Brücken, kommt dem Staate zu, welcher alle betreffende Weggelder und Brückenzölle zu beziehen haben soll.
§ 17. Die bürgerlichen höhern und öffentlichen Unterrichtsanstalten, und die gesetzlichen Vorschriften über die besondern Erziehungsanstalten der Cantone.
§ 18. Die Ertheilung des helvetischen Bürerrechts, nach den durch das Gesetz vorgeschriebenen Bedingungen.
§ 19. Die Ausgaben, welche aus diesen Attribunten der gemeinsamen Organisation herfließen, sind allgemeine Staatsausgaben.
§ 20. Die besondere Organisation jedes Cantons
begreift:
die Vertheilung und Erhebung der Abgaben.
§ 21. Die Festsetzung der Bedürfnisse jedes Vantons und der Mittel, dieselben durch Anlagen zu befriedigen.
§ 22. Die niedere und Ortspolizei.
§ 23. Die besondere Aufsicht über das Kirchenwesen und die Besoldung der Geistlichen, so wie auch die Besetzung der Pfarrstellen, insofern alles dieses der weltlichen Gewalt und und dem Staate zukommt.
Die besonderen Unterrichts- und Erziehungsanstalten, welche die Cantonsbehörden dem Gesetz gemäß leiten. Die Aufsicht über Kirchen-, Schul-, Gemeinde- und Armengüter, und das öffentliche Unterstützungswesen.
§ 24. Die unverzügliche Liquidation der großen
Zehnten, welche unter nachfolgenden Bedingungen und allgemeinen Grundsätzen
losgekauft werden sollen;
1) der Zehnten soll um den Werth des dreizehnfachen, reinen, mittleren
Jahresertrags, losgekauft werden. Der mittlerer Ertrag und Marktpreis der Jahre
1776 bis und mit 1790 soll hiefür zum Maaßstabe dienen;
2) die Particularen, Gemeinheiten, geistliche und wohlthätige Stiftungen oder
Corporationen, welche große Zehnten besitzen, sollen mit dem zwanzigfahcne Werth
des reinen mittleren Jahresertrages, nach dem so eben aufgestellten Maaßstabe
berechnet, entschädigt werden;
3) der Staat erläßt zu diesem ende seine Ansprache auf die Loskaufsumme der ihm
unmittelbar zustehenden zehnten zu Gunsten der Gesamtheit der zehntpflichtigen
Güterbesitzer;
4) Jeder Canton soll, nach Beendigung seiner Liquidation, die Rechnung darüber
der gemeinsamen Regierung einsenden. Zugleich müssen diejenigen Cantone, die
wegen der erlassenen Staatsansprachen, nach Befriedigung der in ihrem Canton zu
entschädigenden Zehntgläubiger, einen Überschuß haben werden, diesen Überschuß
der gemeinsamen Regierung abliefern, welche damit die Entschädigung der
Zehntgläubiger derjenigen Cantone ergänzen wird, deren Loskaufsumme, wegen
Mangel an unmittelbaren Staatszehnten, nicht hinreicht.
5) Wenn nach dieser Ergänzung der Rest übrig bleiben sollte; so wird die
gemeinsame Regierung denselben denjenigen Cantonen, welche Überschuß abgeliefert
haben, in dem Verhältniß dieses abgelieferten Überschusses, als Eigenthum des
Cantons, wiederum zurückgeben. Sollte hingegen der eingelieferte Überschuß zu
dieser Ergänzung nicht hinreichen; so wird das Mangelnde nach obigem
Verhältnisse, auf Anordnung der gemeinsamen Regierung, durch die betreffenden
Cantone, von den zehntpflichtigen Gütern erhoben und abgeliefert;
6) der Loskauf soll nach ganzen Zehntbezirken, oder wo diese Eintheilung nicht
vorhanden ist, nach Gemeindebezirken geschehen. Bis zur baaren Bezahlung der
Loskaufsumme werden für jeden solchen Bezirk gleichförmige Schuldscheine
gerichtlich ausgefertigt. Die zehntpflichtigen Grundstücke sind für die
Loskaufsumme, welche zu vier vom Hundert verzinsbar ist, mit Priorität
unterpfändlich verhaftet. Zur Einziehung und Entrichtung der Zinsen soll ein
gemeinschaftlicher Träger bestimmt werden. Das Capital der Loskaufsumme kann nur
von dem Schuldner, nie aber von dem Gläubiger aufgekündigt werden, so lange der
Zins gehörig bezahlt wird.
§ 25. Der Staat tritt ferner die bisherigen unmittelbaren Staatsgrundzinse den Cantonen, worin sie gelegen sind, eigentümlich ab. Mit dem Beding: daß alle Grundzinsen überhaupt, nach dem Gesetz vom 31. Jeaner 1801 loskäuflich bleiben sollen; daß ferner die Besoldungen der Geistlichen und die Unkosten für Erziehungs- und Unterrichtsanstalten, welche ehemals dem Staate oblagen, von den betreffenden Cantonen übernommen, und hinreichend bestritten werden. Jedoch ist für diesen Unterhalt aus dem Ertrag der Domainen beizusetzen, was die ehemaligen Regierungen aus ihren Ämtern und Schaffnereien jährlich mehr abrichteten, als der gesetzliche Werth der an die Cantone abgetretenen Staatsgrundzinse; ferner der Ertrag des Loskaufs Pfarreien zustehender Zehnten, und endlich was der allfällige Rest beträgt, welcher zufolge Art. 5 § 24 nach vollendeter Zehntliquidation den Cantonen eigenthümlich zurückfallen soll; insofern nämlich diese Gegenstände zu Bestreitung jener Unkosten, auf dem Fuß, wie sie vor dem Jahre 1798 bestanden haben, erweislich nicht hinreichen würden.
§ 26. Kein Theil des helvetischen Bodens kann mit einer übrigen unablöslichen Abgabe beschwert, und kein liegendes Gut unveräußerlich erklärt werden.
§ 27. Die Ausgaben, welche aus obigen Attributen der Cantonalorganisation herfließen, sind Cantonalausgaben.
Vierter
Abschnitt
Gemeinsame Regierung.
§ 28. Die gemeinsame Organisation der Republik ist aus einer Tagsatzung und einem Senate zusammengesetzt, welche in den verfassungsmäßigen Formen gewählt seyn werden.
§ 29. Die Tagsatzung besteht aus den vereinigten
Stellvertretern der ganzen Nation, welche in den Cantonen, nach eines jeden
Wahlform, und in nachstehendem Verhältnisse gewählt werden.
Bern 9
Zürich 8
Waadt 7
Aargau 6
Rhätien 6
Appenzell 6
Lucern 5
Glarus 5
Tessin 5
Freiburg 4
Wallis 4
Thurgau 4
Basel 3
Solothurn 3
Schafhausen 3
Uri 1
Schwyz 1
Zug 1
Unterwalden 1
zusammen 81.
§ 30. Das Gesetz wird die Zahl der Stellvertreter, die in jedem Canton zur allgemeinen Tagsatzung gewählt werden sollen, nach dem Maaßstabe der Bevölkerung berichtigen; doch so, daß jeder Canton wenigstens ein Mitglied zu wählen hat.
§ 31. Die Mitglieder der Tagsatzung sollen durch die Cantone, die sie gewählt haben, entschädigt werden.
§ 32. Sie bleiben fünf Jahre im Amt.
§ 33. Die Tagsatzung versammelt sich alljährlich auf den 1. Brachmonat; diese ordentliche Versammlung kann nicht länger als zwei Monate dauern.
§ 34. Der Senat kann die Tagsatzung außerordentliche zusammenberufen oder verlängern; er bestimmt in diesem Falle die Dauer ihrer Versammlung bei ihrem Zusammentritt.
§ 35. Der Senat ist verpflichtet, die Tagsatzung zusammen zu rufen, so oft es die Mehrheit der Cantone fordert; eine solche außerordentliche Versammlung kann nicht länger als zwei Monate dauern.
§ 36. Die Tagsatzung wählt die Mitglieder des Senats.
§ 37. Sie untersucht, genehmigt, oder verwirft die Staatsrechnung, die nachher im Drucke bekannt gemacht werden soll.
§ 38. Sie entscheidet über Klagen, welche gegen gesetzwidrige Verfügungen des Senats geführt werden, und hebt dergleichen Verfügungen auf.
§ 39. Der Tagsatzung kommt, auf den Vorschlag des Senates, die Berathung und Annahme der Gesetze zu.
§ 40. Sie erklärt auf den Vorschlag des Senates, den Krieg, bestätigt Friedensschlüsse, Bündnisse und Staatsverträge.
§ 41. Sie bewilligt alljährlich die nöthigen Geldsummen für die allgemeinen Bedürfnisse.
§ 42. Die stehenden Truppen der Republik können ohne ihre Einwilligung nicht vermehrt werden.
§ 43. Der Senat besteht aus zwei Landammännern und acht und zwanzig Räthen. Jeder Canton soll wenigstens ein Mitglied im Senat haben; die übrigen werden so gewählt, daß keinem Canton mehr als drei Mitglieder, und denen, die nicht über vierzig Tausend Seelen enthalten, nicht mehr als ein Mitglied zukomme.
§ 44. Der Senat entwirft die Gesetzvorschläge und legt sie, nebst den darüber eingehohlten Bemerkungen der Cantone, der Tagsatzung zur Annahme vor.
§ 45. Er beschließt, nach den Gesetzen, alle Maaßregeln und Verordnungen, welche die Verwaltung und die allgemeine Polizei betreffen.
§ 46. Er hat die Vorberathung über Kriegserklärungen, Friedensschlüsse, Bündnisse und Staatsverträge.
§ 47. Er entscheidet in Streitsachen, die sich zwischen den Cantonen erheben könnten.
§ 48. Er zeigt der Tagsatzung die Cantonalbehörden an, welche sich Eingriffe in die gemeinsame Verfassung oder die Cantonalorganisation zu Schulden kommen lassen, nachdem vorläufig die allenfalls nöthigen Maaßregeln zu Handhabung derselben getroffen sind.
§ 49. Er wählt aus seiner Mitte die beiden Landammänner. Die Dauer ihrer Stelle ist sechs Jahre.
§ 50. Die Mitglieder des Senats bleiben sechs Jahre im Amte, und treten zum Drittheile alle zwei Jahre aus.
§ 51. Die Landammänner führen wechselweise den Vorsitz im Senat, während dem Jahre, wo sie nicht im Amte sind.
§ 52. Der Landamman, der nicht im Amte ist, vertritt die Stelle des andern in Fällen von Krankheit oder Abwesenheit.
§ 53. Der Senat ernennt aus seiner Mitte einen kleinen Rath von vier Gliedern, die sechs Jahre im Amte sind. Der Landamman im Amte ist ihr Vorsitzer.
§ 54. Dieser Rath ist mit der eigentlichen Vollziehung der Gesetze beauftragt.
§ 55. Er entwirft die Verwaltungsbeschlüsse oder Verordnungen, welche hernach durch den gesammten Senat angenommen werden.
§ 56. Er besorgt ihre Vollziehung.
§ 57. Jedes der vier Mitglieder dieses Raths ist mit einem der nachfolgenden Regierungsfächer beauftragt: innere Angelegenheiten, Rechtspflege, Finanzen und Kriegswesen.
§ 58. Alle Beamteten der allgemeinen Verwaltung sind ihm untergeordnet und werden von ihm ernannt.
§ 59. Er wählt aus einem fünffachen Vorschlag der großen und controllirenden Cantonsbehörde die Statthalter der Cantone, und ruft sie von ihrer Stelle ab.
§ 60. Der Landamman, welcher im Amte ist, bezieht ein Gehalt von sechszehn Tausend Franken.
§ 61. Der Landamman außer Amt und die vier Glieder des kleinen Raths, beziehen einen Gehalt von sechs Tausend Franken.
§ 62. Dem Landamman, der im Amte ist, kommt die Leitung der auswärtigen Angelegenheiten zu; er hat unter sich einen Staatssecretair, der mit diesem Regierungsfache und mit der Correspondenz beauftragt ist.
§ 63. Er ernennt denselben, und wählt ihn außer dem Senat.
§ 64. Über die in diesen zwei letzen Artikeln enthaltenen Gegenstände hat der Landamman, der nicht im Amte ist, eine berathschlagende Stimme.
§ 65. Der übrigen Mitglieder des Senats beziehen eine Entschädigung von vier Tausend Franken.
Fünfter
Abschnitt
Cantonalorganisation.
§ 66. In jedem Canton ist ein Statthalter, der vom kleinen Rath auf die vorgeschriebene Weise gewählt wird. Er ist mit der eigentlichen Vollziehung und mit der allgemeinen höhern Polizei im Canton beauftragt. Er hat den Zutritt bei der Verwaltungsbehörde des Cantons, und die besondere Pflicht, über die Beobachtung der allgemeinen Gesetze und Verordnungen der Republik zu wachen.
§ 67. Jeder Canton hat seine besondere Verwaltungsorganisation mit den oben bestimmten Attributen; dieselben wird den örtlichen Erfordernissen angepaßt seyn.
§ 68. Die Verwaltung der Nationalgüter und Domainen, nach den Gesetzen und Verordnungen; die Berathung und Festsetzung der in den Cantonen besonders nothwendigen Vollziehungsmaaßregeln der Gesetze; die Aufsicht und Controlle über ihre Vollziehung, und das erste Repressionsrecht gegen die mit derselben beauftragten Cantonalbeamteten, wenn sie diese Vollziehung unterlassen, sind der obersten Verwaltungsbehörde jedes Cantons, gemeinschaftlich mit dem Regierungsstatthalter, aufgetragen.
§ 69. Die oberste Verwaltungsbehörde jedes Cantons entscheidet ferner in streitigen Administrationsfällen, und zwar gemeinschaftlich mit dem Regierungsstatthalter und unter Vorbehalt der allfälligen Weiterziehung vor die gemeinsame Regierung, über Gegenstände, die in den Attributen dieser letztern liegen; hingegen aber unabhängig für sich, in Rücksicht solcher Gegenstände, die in den Attributen der Cantonalorganisation begriffen sind.
§ 70. In allen übrigen Fächern der besondern Cantonalverwaltung hat die Verwaltungsbehörde allein zu verfügen.
§ 71. Wenn die besondere Verwaltungsorganisaton eines Cantons von der allgemeinen Tagsatzung durchgesehen worden, und nichts darin enthalten ist, das der Freiheit und politischen Rechtsgleichheit der Bürger, oder der gemeinsamen Verfassung entgegen steht; so soll sie durch Einregistrirung in die Protocolle der Tagsatzung sanctionirt, und so unter die Gewährleistung der Nation genommen werden, daß ohne die Zustimmung des Senate und der Tagsatzung nichts daran verändert werden kann.
Sechster Abschnitt
Gerichtswesen.
§ 72. Das Justizwesen gehört in allem zu der gemeinsamen Organisation der Republik, was nicht ausdrücklich den Cantonen übertragen wird.
§ 73. Es giebt Friedensgerichte in den Cantonen, deren Verrichtungen und Competenzen das Gesetz bestimmen wird.
§ 74. Es giebt Gerichte erster Instanz; ihre Verrichtungen und Competenzen wird gleichfalls das Gesetz bestimmen.
§ 75. In jedem Canton ist ein Appellationsgericht, welches in streitigen Civilfällen endlich abspricht, deren Gegenstand die Summe von drei Tausend Franken nicht übersteigt.
§ 76. Die Organisation der bemeldeten drei Gerichtsstellen, nach den örtlichen Bedürfnissen, so wie die Bestimmung der Zahl der Friedensgerichte und Gerichte erster Instanz, der Wahlart, der Entschädnisse und des Tarifes über über die Gebühren und Sporteln, bleibt den Cantonen überlassen.
§ 77. Die Friedensrichter und die Glieder der Gerichte erster und zweiter Instanz sollen durch die Cantonsbehörden ernannt werden.
§ 78. Es ist ein oberster Gerichtshof, welcher bürgerliche Streitsachen, deren Werth die Summe von drei Tausend Franken übersteigt, als höchstes Appellationsgericht endlich beurtheilt. Er ist das Cassationsgericht über geringere Criminalfälle, und urtheilt endlich über höhere peinliche Gegenstände, bis nach Einführung einer andern Prozeßform durch die geschwornen Gerichte.
§ 79. Er beurtheilt nach den gesetzlichen Formen die Glieder der Tagsatzung und des Senates.
§ 80. Die Tagsatzung verweiset die Cantonsbehörde, welche ihr vom Senat zufolge Art. 48 der Verfassung, angezeigt worden, zur Verurtheilung an den obersten Gerichtshof, wenn sie erkannt hat, daß Anklage Platz finde.
§ 81. So oft der Staat in einem Civilrechtshandel steht, kann jede der beiden Partheien die Appellation bis vor den obersten Gerichtshof ziehen.
§ 82. Die vollziehende Gewalt zeigt ihm die Richter und Gerichtsstellen zur Beurtheilung an, welche ihren gesetzlichen Pflichten nicht Genüge leisten.
§ 83. Der oberste Gerichtshof besteht aus eilf Mitgliedern, welche der Senat aus einem dreifachen Vorschlag der Tagsatzung wählt.
§ 84. Nach dem ersten Jenner 1810 sollen die gerichtlichen Stellen stufenweise besetzt werden; so, daß Niemand eine solche in einer obern Gerichtsstelle erhalten kann, wenn er vorher nicht wenigstens zwei Jahre land eine unterer Gerichtsstelle bekleidet hat, oder sonst in einem höhern öffentlichen Amte gestanden ist.
§ 85. Das Gesetz kann für die peinliche Rechtspflege die geschwornen Gerichte einführen. Indessen bleibt die bisherige Beurtheilungsweise.
§ 86. Die Sitzungen der Gerichte sind öffentlich; doch können sie die Urtheile bei geschlossener Thüre berathen.
§ 87. Niemand kann ohne einen schriftlichen Befehl,
von welchem ihm eine Abschrift übergeben werden muß, in Verhaft gesetzt werden.
Damti ein solcher Verhaftbefehl vollzogen werden dürfe, muß er:
1) die Ursache der Verhaftnehmung und das Gesetz, kraft dessen sie verordnet
wird, anzeigen;
2) von einem Beamteten herrühren, den das Gesetz ausdrücklich hiezu
bevollmächtiget.
Diese Förmlichkeiten werden jedoch nicht erfordert, wenn Jemand auf frischer That ergriffen wird; ein solcher muß aber dem Polizeibeamten vorgeführt werden, bevor er in eigentlichen Verhaft gebracht wird.
§ 88. Der Beamte, welcher die Verhaftnehmung vollziehen läßt, ist gehalten, dem competirlichen Richter in zwei Mal vier und zwanzig Stunden, vom Augenblicke der Verhaftnehmung an, darüber einzuberichten; auch soll der Verhaftete gleich nach seiner Verhaftung abgehört werden, bei Strafe der Verantwortlichkeit wegen willkührlicher Verhaftung.
§ 89. Die Ausübung der richterlichen Gewalt ist unabhängig und abgesondert von der gesetzgebenden und vollziehenden. Die Richter können nur nach dem Gesetze verantwortlich gemacht werden.
§ 90. Der gemeinsamen Regierung ist die Einrichtung eines allgemeinen bürgerlichen und peinlichen Gesetzbuchs, und die Bestimmung eines einförmigen Rechtsganges vorbehalten.
§ 91. Den Cantonsbehörden kommt die Einrichtung der Advocatur und des Notariats, so wie die erforderlichen Beschränkungen dieser Berufsarten, bis zu einem allgemeinen Gesetze, zu.
§ 92. Das Gesetz kann Handelsgerichte und für die in Activität stehenden Truppen Kriegsgerichte organisiren.
Siebenter
Abschnitt
Wählbarkeitsbedinge.
§ 93. Niemand darf zu National- oder Cantonalämtern
wählen oder gewählt werden, wenn er nicht
1) helvetischer Bürger ist;
2) ein Eigenthum in Helvetien besitzt; oder einen unabhängigen Beruf hat; oder
eine Abgabe bezahlt, deren Betrag von jedem Canton wird bestimmt werden.
§ 94. Diese Abgabe soll für Cantonalämter das Doppelte derjenigen seyn, die für Districtsstellen erfordert wird; und für Nationalstellen das Dreifache derjenigen, so die Cantonalämter erheischen.
§ 95. Jeder helvetische Bürger kann sein Activbürgerrecht an jedem Orte der helvetischen Republik vollständig ausüben, wo er sich länger als ein Jahr aufgehalten hat.
Bern, den 24. Weinmonat im Jahre 1801
Der Präsident der allgemeinen helvetischen Tagsatzung
Usteri.
Anderwart, Secretair.
Secretan, Secretair.
Vorstehende Verfassung verstand die Verfassung vom 29. Mai 1801 als ihre Grundlage, und die mit ihr eingesetzte Tagsatzung, die diese eigentlich nur bestätigen sollte, hat diese erweitert und in andere Worte gefasst. Die beiden, sich unversöhnlich gegenüberstehenden Parteien in der Schweiz und der Beschluss der Tagsatzung über die Verfassung am 24. Oktober 1801 kam nur zustande, weil die konservativen, die Wiederherstellung der alten Ordnung der Eidgenossenschaft begehrenden Mitglieder der Tagsatzung aus dieser ausgetreten waren.
Allein dieser Beschluss wurde von den Kantonen, welche
von den ausgetretenen Mitglieder aus der Tagsatzung vertreten wurden, nicht anerkannt. Nach
einem Aufruhr in Bern, der von den französischen Besatzungstruppen
niedergeschlagen wurde, wurde die Verfassung vom 29. Mai
1801, wie sie vom Ersten Konsul der Französischen Republik vorgeschlagen wurde,
am 28. Oktober 1801 in Kraft gesetzt. Die Konservativen wurden zur bestimmenden Kraft in den
verfassungsmäßigen Organen und nach verstärkten Wirren Ende Januar / Anfang
Februar 1802 wurde von den Konservativen eine neue Verfassung entworfen und vom
Senat am 27. Februar 1802 angenommen.