Verfassung des Cantons Lucern

vom 29. März 1814

revidiert durch
Gesetze vom 6. Mai 1829
Gesetz vom 23. Dezember 1829.

aufgehoben durch
Verfassung vom 5. Januar 1831

Wir Schultheiß, Räth und Hundert der Stadt und Republik Lucern haben, auf Vorschlag des täglichen Raths, nachstehende Revision der Verfassung des Cantons Lucern beschlossen.

Erster Abschnitt
Eintheilung des Cantons.

1. Der Canton Lucern ist in fünf Ämter eingetheilt, als: erstes Lucern, zweites Entlebuch, drittes Willisau, viertes Sursee, fünftes Hochdorf.

2. Jedes dieser Ämter besteht, nach Bedürfniß seiner Localverhältnisse, aus mehrern Gerichtsbezirken, die sammthaft achtzehn Gerichtskreise bilden.

3. Das Gesetz wird sowohl die Eintheilung der verschiedenen Gemeinden in die Gerichtsbezirke festsetzen, als die Hauptorte der Ämter und der Gerichtsbezirke bestimmen.

Zweiter Abschnitt
Öffentliche Gewalten.

a) Räth und Hundert

4. Die höchste souveraine Gewalt beruht auf sechs und dreißig täglichen und vier und sechzig großen Räthen, deren Stellen lebenslänglich sind, präsidirt durch einen Schlutheiß. welche man sämmtlich nennt: Schultheiß, Räth und Hundert der Stadt und Republik Lucern.

5. Derselbe besteht aus fünfzig Mitgliedern aus der Bürgerschaft der Stadt Lucern, und aus fünfzig Mitglieder ab der Landschaft, unter welchen letztern sich immer drei Mitglieder der Stadt Sursee, drei Mitglieder aus der Bürgerschaft der Stadt Sempach, zwei Mitglieder aus der Bürgerschaft der Statt Willisau, und ein Mitglied aus der Bürgerschaft des Fleckens Münster befinden müssen.

6. Räth und Hundert bestätigen oder verwerfen die Gesetzes- und Decretsvorschläge, die ihnen vom täglichen Rathe gemacht werden.

7. Sie untersuchen die alljährlich abzulegenden Staatsrechnungen, und ertheilen denselben, wenn sie von ihnen wohl gestellt und richtig befunden worden sind, ihre Genehmigung.

8. Sie ernennen die beiden Schultheißen aus den Mitgliedern des täglichen Raths.

9. Sie erwählen ebenfalls aus der Mitte des täglichen Raths einen Rathsrichter.

10. Ferner ernennen sie die Gesandtschaften auf die eidsgenössischen Tagsatzungen, und ertheilen ihnen, auf den Vorschlag des täglichen Raths, die nöthigen Instructionen.

11. Endlich bestätigen oder verwerfen sie die Wahl der täglichen Räthe.

12. Sie bewilligen die Erhebung von Auflagen und Abgaben, welche zur Bestreitung der Staatsbedürfnisse erforderlich werden, so wie den Ankauf und Verkauf von Staats-, Kirchen- und geistlichen Gütern.

13. Und sie üben das Begnadigungsrecht und alle anderen Handlungen der höchsten souverainen Gewalt aus.

14. Räth und Hundert versammeln sich ordentlicher Weise dreimal des Jahres. Außerordentlich werden sie durch den täglichen Rath so oft zusammenberufen, als es die Geschäfte erfordern würden.

15. Bei den Rathsversammlungen steht jedem Mitgliede von Räth und Hundert das Recht zu, von sich aus Anträge und Vorschläge zu thun, wenn es zuvor dem Amtsschultheiß davon Anzeige gemacht hat; dieselben werden aber erst dann zumal dem täglichen Rathe zur Prüfung und Berichterstattung zugewiesen, wenn, nach vorläufiger Berathung, und Räth und Hundert durch die Mehrheit der Stimmen ihre Überweisung förmlich beschlossen seyn wird.

16. Auf das gemeinsame Verlangen von zwölf Mitgliedern von Räth und Hundert ist der Amtsschultheiß verbunden, eine obschwebende wichtige Angelegenheit sogleich an den täglichen Rath und von diesem an Räth und Hundert zu bringen, damit darüber berathschlagt werde.

b) Täglicher Rath.

17. Die höchste vollziehende, verwaltende und richterliche Gewalt übt ein täglicher Rath aus.

18. Dieser besteht aus sechs und dreißig Mitgliedern.

19. Er schlägt Räth und Hundert die nöthige findenden Gesetze, Decrete, Verordnungen und andere Beschlüsse vor, deren Erlassung Räth und Hundert zukommt, und besorgt dann, nachdem sie die Genehmigung erhalten, von sich aus ihre Vollziehung.

20. Er erläßt die zu diesem Ende sowohl als zur Handhabung der Polizei und zum Behuf der übrigen in das Staatsverwaltungsfach einschlagenden Gegenstände erforderlichen Verordnungen und Beschlüsse.

21. Er legt Räth und Hundert jährlich über alle Theile der ihm obliegenden Staatsverwaltung Rechenschaft ab.

22. Er urtheilt in letzter Instanz über alle Streitigkeiten, welche in deas Verwaltungsfach einschlagen.

23. Er ernennt aus seiner Mitte einen Appellationsrath, welcher aus zwölf Mitgliedern besteht und von dem Amtsschultheiß präsidirt wird. Die Mitglieder des Appellationsrathes wohnen dem ungeachtet, gleich den übrigen Mitgliedern des täglichen Raths, dessen Sitzungen bei.

24. Der Appellationsrath beurtheilt in höchster Instanz alle bürgerliche, polizeiliche und peinliche Rechtsfälle, mit Ausnahme der Klagen über Verbrechen, welche die Todesstrafe ach sich ziehen. In diesem Falle wird durch den ganzen täglichen Rath über den Beklagten das Urtheil gefällt.

25. Alle Jahre auf St. Johann Evangelistentag (= 27. Dezember) treten zwei Mitglieder aus dem Appellationsrathe aus, welche das Loos bezeichnet, bis die ordentliche Reihenfolge angetreten seyn wird; sie sind jedoch sogleich wieder wählbar. Kommt aber die Reihe zum Austritt zum zweiten Mal an sie, so können sie vor Verfluß eines Jahres nicht wieder in den Appellationsrath gewählt werden.

26. Zwei Schultheißen, welche von Räth und Hundert aus der Mitte des täglichen Raths gewählt werden, führen abwechselnd jeder ein Jahr lang, den Vorsitz, sowohl in Räth und Hundert, als im täglichen Rath. Doch muß der jeweilen ins Amt tretende vorläufig durch Räth und Hundert in seiner Stelle bestätigt werden.

27. Derjenige von ihnen, welcher nicht im Amte ist, vertritt nöthigenfalls die Stelle des erstern, und führt den Vorsitz beim Appellationsrathe.

28. Der Amtsschultheiß eröffnet alle an den Rath gerichtete Schreiben und übrigen Schriften, und ist verbunden, dieselben ohne Aufschub dem Rathe vorzulegen.

29. Er unterschreibt alle Gesetze, Decrete, Beschlüsse, Urkunden, Publicationen, Briefschaften und Berichte, die von den Räthen ausgehen.

30. Ihm kommt die Befugniß zu, die Räthe zu versammeln, und ohne sein Vorwissen darf nichts vor den Rath gebracht werden.

31. Die zwei ältesten Mitglieder des täglichen Raths werden Statthalter genannt. In Abwesenheit beider Schultheißen führt der Ältere von ihnen, oder wenn auch beide diese abwesend währen, das älteste anwesende Mitglied des täglichen Raths an der Stelle der Schultheißen den Vorsitz.

32. Der Rathsrichter, welcher alle Jahre auf St. Evangelistentag frisch gewählt wird, hält das Staatssiegel in Verwahrung, und besiegelt damit alle Gesetze, Decrete, Beschlüsse, Urkunden, Verkommnisse, Ernennungs- und Beglaubigungsacten, so wie alle Briefschaften und wichtigere Acten, welche von Räth und Hundert oder dem täglichen Rathe ausgehen.

33. Er hält die Umfrage in beiden Räthen, und untersucht und eröffnet die Resultate aller Abstimmungen und Wahlen, im Beiseyn beider Schultheißen und Statthalter.

34. Er wacht über die Ordnung in den Rathsversammlungen und über die Beobachtung der hierüber festgesetzten Reglements.

35. Er ist auf den Fall, wo der Amtsschultheiß sich weigern sollte, einen an den Rath gerichteten Gegenstand vorzubringen, gehalten, diesem davon die Anzeige zu thun, und die daherige Klage oder den Anstand von ihm erörtern zu lassen.

Dritter Abschnitt
Wahlen.

a) Für Räth und Hundert

36. Jeder Gerichtsbezirk, so wie jeder Minicipalort, mit Inbegriff von Münster, wählt aus der Zahl seiner Bürger einen Unmittelbaren, und die Bürgerschaft der Stadt Lucern solcher Zehn aus ihrer Mitte in Räth und Hundert.

Die übrigen vierzig Mitglieder aus der Bürgerschaft der Stadt Lucern und die neun und zwanzig Mitglieder ab der Landschaft, mit Einschluß derjenigen, welche hierzu aus den Städten Sursee, Sempach und Willisau genommen werden müssen, wählt Räth und Hundert von sich aus.

37. Die Wahl der Unmittelbaren wird auf der Landschaft in den Hauptorten der Gerichtsbezirke durch die Bürger des betreffenden Bezirks, in den Municipalstädten aber und in der Hauptstadt durch die Bürger des Orts, jeweilen unter Vorsitz des Oberamtsmanns, der dabei keine Stimme hat, vorgenommen.

b) Für den täglichen Rath

38. Die Mitglieder des täglichen Raths werden durch den täglichen Rath selbst aus der Mitte von Räth und Hundert gewählt.

39. Diese Wahlen werden von Räth und Hundert ebenfalls nach Vorschrift es § 45 bestätigt oder verworfen.

40. Im täglichen Rathe sollen sich ab der Landschaft immer wenigstens zehn Mitglieder vorfinden, worunter jeweils zwei aus den Municipalorten und eins aus jedem Amte begriffen seyn muß.

c) Von den Wahlen überhaupt

41. Die Wahlen für den täglichen Rath finden jeweils an St. Johann im Sommer (= 24. Juni) und an St. Johann Evangelist im Winter (= 27. Dezember) Statt.

42. Hingegen erfolgen die Wahlen für Räth und Hundert immer nur an St. Johann Evangelistentag.

43. Die unmittelbaren Rathsstellen werden, sobald eine derselben erledigt ist, gleich auf den dreißigsten Tag der gefallenen Erledigung durch den betreffenden Wahlbezirk ergänzt.

44. Jedesmal an St. Johann Evangelistentag hat auch die Bestätigung des in das Amt tretenden Schultheißen und die Ernennung des Rathsrichters zu erfolgen.

45. Alle Wahlen geschehen durch das geheime, absolute Stimmenmehr.

Vierter Abschnitt
Stimmen- und Wahlfähigkeit.

46. Um stimmfähig zu seyn, muß man
a) Bürger inner dem betreffenden Gerichtskreise des Municipalbezirks oder der Hauptstadt seyn;
b) das zwanzigste Jahr erfüllt;
c) wenigstens ein Vermögen von vierhundert Franken versteuert haben;
d) weder gesetzlich bevogtet seyn, noch eine entehrende Strafe auf sich liegen haben;
e) eben so wenig Fallit sein, oder zum Nachtheil seiner Gläubiger, in Folge eines gerichtlichen Concurses, accordirt haben; es wäre denn Sache, daß die Gläubiger nach der Hand für ihre Anforderungen zufrieden gestellt worden wären.

47. Um zum Mitglied von Räth und Hundert gewählt werden zu können muß man neben vorstehenden Eigenschaften,
a) das fünf und zwanzigste Jahr zurückgelegt;
b) ein Vermögen von wenigstens viertausend Franken versteuert haben, oder auf dem Staate besonders geleistete Dienste Anspruch machen können.

48. Zur Wahlfähigkeit für den täglichen Rat wird, neben der unter §§ 46 und 47 festgesetzten Eigenschaften, noch das zurückgelegte dreißigste Jahr erfordert.

49. Nebenhin dürfen in dem täglichen Rathe weder Vater und Sohn, noch zwei Brüder zu gleicher Zeit Mitglieder seyn.

50. Auch darf ein Mitglied des täglichen Raths nicht in auswärtigem Dienste landesabwesend seyn.

Fünfter Abschnitt
Allgemeine Verfügungen.

51. Die christkatholische Religion ist die Religion des Cantons.

52. Das Gesetz wird die nähern Bestimmungen über die Organisation der untergeordneten Behörden festsetzen.

53. Jeder, der Bürger des Cantons ist, die erforderlichen Kenntnisse besitzt und über eine gute Aufführung sich gehörig ausweisen kann, hat zu allen geistlichen und weltlichen Stellen und Ändern den Zutritt.

54. Jeder Cantonsbürger kann ebenfalls, gemä0 den gesetzlichen Bestimmungen, das Bürgerrecht der Hauptstadt sowohl, als jenes der Minicipalorte und jeder Gemeinde des Cantons, an sich bringen.

55. Die Verfassung sichert die Befugniß zu, Zehnten und Grundzinse loszukaufen.

    Gegenwärtige Cantonsverfassung soll, von Unserm Amtsschultheiß und Staatsschreiber unterzeichnet, und mit dem Staatssiegel versehen, durch den täglichen Rath in das Staatsarchiv niedergelegt werden, welcher für denselben offentliche Bekanntmachung zu sorgen hat.

    Gegeben in unserer Versammlung von Räth und Hundert, Lucern den 29. Märzmonat 1814.

Namens derselben:

Der Amtsschultheiß,
Vinzenz Rüttimann.

Der Staatssschreiben,
X. Mohr.

 

Der Kanton Luzern erhielt eine streng konservative Verfassung. Die Amtszeiten der Mitglieder des Großen Rates wie des täglichen Rathes war auf Lebenszeit festgesetzt, so dass reguläre und periodische Wahlen nicht stattfanden.
 


Quellen: K.H.L. Pölitz, Die europäischen Verfassungen seit dem Jahre 1789, Brockhaus Leipzig 1833
© 16. Mai 2005 - 29. Mai 2005
Home             Zurück          Top