vom 23. Mai 1880
aufgehoben durch
Verfassung vom 2. Oktober 1892
I. Abschnitt.
Volkssouveränetät.
Art. 1. Der Kanton Graubünden ist nach Maßgabe der Bundesverfassung und innert den Schranken derselben ein souveräner Stand der Schweizerischen Eidgenossenschaft.
Die Souveränetät beruht auf der Gesammtheit des Volkes und äußert sich durch gesetzmäßigen Abstimmungen und Wahlen.
Art. 2. Die gesetzgebende Gewalt wird vom Volke ausgeübt.
Der Volksabstimmung unterliegen:
1. Verfassungsänderungen;
2. Staatsverträge und Konkordate;
3. Gesetze:
a) organische Gesetze, bürgerliche und Strafgesetze mit Einschluß
derjenigen über das gerichtliche Verfahren in Civilsachen, sowie in Kriminal-
und Strafpolizeisachen;
b) Verwaltungsgesetze, insbesondere im Steuer-, Schul-,
Straßen-, Forst-, Jagd- und Fischerei-, im Gesundheits- und Armenwesen, sowie in
andern Gebieten der Verwaltung und Volkswirthschaft;
4. diejenigen Bestimmungen kantonaler Ausführungsverordnungen zu Bundesgesetzen,
welche nicht nothwendige Folge der letztern sind und ihrer Natur nach im Sinne
vorstehender Ziff. 3 in das Gebiet der Volksgesetzgebung fallen;
5. Beschlüsse des Großen Rathes, durch welche neue Kantonsbehörden aufgestellt
werden sollen;
6. Großrathsbeschlüsse, welche eine neue Ausgabe von Fr. 100,000 oder mehr zur
Folge haben, oder eine neue, voraussichtlich in fünf aufeinander folgenden
Jahren wiederkehrende Ausgabe von mindestens Fr. 20,000 in sich schließen;
7. anderweitige Beschlüsse des Großen Rathes, welche derselbe der
Volksabstimmung zu unterstellen für gut findet.
Art. 3. Außerdem sind vom Großen Rath auf Begehren von wenigstens
5000 stimmberechtigten Kantonseinwohnern der Volksabstimmung zu unterbreiten:
1. Vorschläge zum Erlaß neuer Gesetze, großräthlicher Verordnungen und
Beschlüsse;
2. Vorschläge zur Aufhebung oder Abänderung von Gesetzen, welche schon
mindestens zwei Jahre in Kraft bestanden haben, sowie großräthlicher
Verordnungen und Beschlüsse, seien dieselben bereits in Kraft getreten oder
nicht. Ausgenommen sind großräthliche Beschlüsse dringlicher Natur.
Der Große Rath hat solche Vorschläge zu Handen der Volksabstimmung stets mit seinem Gutachten und gutfindenden Falles auch mit Gegenanträgen zu begleichen.
Dem Gesetze bleibt vorbehalten, das Nähere über die Ausübung des Vorschlagsrechtes zu bestimmen.
Überdies hat jeder stimmberechtigte Kantonseinwohner, sowie jeder auswärts wohnende Kantonsbürger, die übrigen Erfordernisse der Stimmberechtigung vorausgesetzt, das Recht, auf dem Wege der Petition Anträge an den Großen Rath zu stellen.
Art. 4. Die beiden Abgeordneten zum schweizerischen Ständerath werden vom Volke für eine Amtsdauer von drei Jahren, in einem Wahlkreis, frei aus allen gemäß Bundesverfassung stimmberechtigten Schweizerbürgern in oder außer dem Kanton gewählt.
Art. 5. Über alle Fragen, welche zufolge der Vorschriften von Art. 2 und 3 zur Abstimmung an das Volk gelangen, entscheidet die absolute Mehrheit der Stimmenden.
Art. 6. Das Ergebniß der zufolge Art. 123 der Bundesverfassung hinsichtlich einer Revision derselben im Kanton erfolgten Volksabstimmung gilt zugleich als Standesstimme im Sinne des nämlichen Artikels.
Die Ausübung des laut Art. 89 der Bundesverfassung den Kantonen zustehenden Referendumsrechtes kann, wenn der Große Rath versammelt ist, durch diesen selbst stattfinden, oder nach dessen Ermessen der Volksabstimmung unterstellt werden.
Ist der Große Rath nicht versammelt, so liegt es im Ermessen des Kleinen Rathes, entweder das gleiche Recht Namens des Kantons selbst auszuüben, oder den Großen Rath einzuberufen, oder endlich, mit Übergehung des letztern, einen bezüglichen Rekapitulationspunkt an das Volk auszuschreiben.
II. Abschnitt.
Persönliche Rechte.
Art. 7. Das Stimmrecht in kantonalen und Gemeindeangelegenheiten beginnt mit dem erfüllten zwanzigsten Altersjahr.
Der Ausschluß vom Stimmrecht richtet sich nach den bundesgesetzlichen Bestimmungen.
Dem Gesetze bleibt vorbehalten, das Nähere über die Ausübung des Stimmrechtes festzusetzen.
Art. 8. Wählbar in kantonale Ämter ist jeder stimmberechtigte Kantonseinwohner.
In Bezug auf die Wahl der Ständeräthe gelten die Bestimmungen des Art. 4.
Art. 9. Die persönliche Freiheit ist gewährleistet.
Niemand darf seinem verfassungsmäßigen Richter entzogen, Niemand verhaftet oder gerichtlich verfolgt werden, als in Kraft der Gesetze.
Das Hausrecht ist unverletzlich; Hausuntersuchungen dürfen nur in den vom Gesetz bestimmten Fällen und unter Beobachtung der vorgeschriebenen Formen durch die zuständigen Beamten vorgenommen werden.
Das Eigenthum und andere Privatrechte sind, mit Vorbehalt der gesetzlichen Ausnahmen, unverletzlich.
Art. 10. Die Ausübung jeder Berufsart in Kunst und Wissenschaft, Handel und Gewerbe ist frei.
Vorbehalten sind die gesetzlichen und polizeilichen Vorschriften innert den Schranken des Art. 31 der Bundesverfassung.
Art. 11. Die Gewissens-, Glaubens- und Kultusfreiheit ist gewährleistet.
Die bisher bestandenen zwei Landeskirchen werden als öffentliche Religionsgemeinschaften anerkannt.
Die Bildung neuer Religionsgesellschaften ist zulässig, insoweit solche nicht der öffentlichen Ordnung und der Sittlichkeit widerstreiten. Mit Rücksicht auf dieses Erforderniß kann die Staatsbehörde ihre Genossenschaftsstatuten zur Einsicht und Prüfung abfordern.
Die Religionsgenossenschaften ordnen ihre innern Verhältnisse (Lehre, Kultus, ect.) und verwalten ihr Vermögen selbständig. Das Oberaufsichtsrecht des Staates im Allgemeinen, und namentlich zum Zwecke der Erhaltung und richtigen Verwendung des Vermögens der als öffentlich anerkannten Religionsgenossenschaften bleibt vorbehalten.
Den Kirchgemeinden steht das Recht zu, ihre Geistlichen zu wählen und zu entlassen.
Dem Staate bleiben jederzeit die erforderlichen Maßregeln gegen Eingriffe der Kirchgenossenschaften oder ihrer Organe in seine Rechte vorbehalten.
III.
Abschnitt.
Gebietseintheilung.
Art. 12. Der Kanton wird in politischer, gerichtlicher und administrativer Beziehung in Bezirke, Kreise und Gemeinden eingetheilt.
IV.
Abschnitt.
Politische und Verwaltungsbehörden.
Art. 13. Der Große Rath ist die oberste politische und administrative Behörde des Kantons.
Derselbe wird direkt von den Kreisen nach Verhältniß ihrer Bevölkerung frei aus den stimmberechtigten Kantonseinwohnern gewählt. Die Mitgliederzahl und deren Vertheilung auf die Kreise bestimmt das Gesetz.
Die Mitglieder des Großen Rathes bleiben zwei Jahr im Amt und immer wieder wählbar.
Art. 14. Der Große Rath wählt jährlich frei aus sämmtlichen Abgeordneten einen Präsidenten und Vizepräsidenten und bestellt seine Kanzlei.
Er setzt seine Geschäftsordnung fest.
Die Mitglieder des Kleinen Raths wohnen den Sitzungen des Großen Raths mit berathender Stimme bei.
Art. 15. Der Große Rath wacht über die Handhabung der Bundes- und Kantonsverfassung, sowie über die Vollziehung der eidgenössischen und kantonalen Gesetze, Verordnungen und Beschlüsse.
Ihm steht die Vorberathung über alle Gegenstände zu, welche nach Art. 2 und 3 der Volksabstimmung unterstellt werden.
Er erläßt die nöthigen Vollziehungsverordnungen und Ausführungsbestimmungen zu den kantonalen und, soweit es nicht von Bundes wegen geschieht, zu den eidgenössischen Gesetzen.
Dem Großen Rathe steht die Oberaufsicht über die ganze Landesverwaltung und die Befugniß zu, in allen Landesangelegenheiten, welche nicht zufolge Art. 2 und 3 der Volksabstimmung unterliegen, gültige Verordnungen zu erlassen und Beschlüsse zu fassen.
Art. 16. Der Große Rath erläßt an die Kreise zu Handen der Gemeinden die verfassungsmäßigen (Art. 2 und 3) Vorlagen zur Volksabstimmung, setzt das Ergebniß der letztern fest und veröffentlicht dasselbe
Bei Dringlichkeit kann er die Klassifikation der Mehren nebst Bekanntmachung dem Kleinen Rath übertragen.
Art. 17. Soweit die Verfassung nicht bereits verfügt, stellt der Große Rath die für die Landesverfassung erforderlichen Beamtungen auf und bestimmt ihre Befugnisse.
Art. 18. Der Große Rath wählt die Mitglieder der Standeskommission und des Kleinen Raths, sowie das Kantonsgericht frei aus allen stimmberechtigten Kantonseinwohnern und setzt die Geschäftsordnungen dieser Behörden fest.
Er wählt ferner den Erziehungsrath, den Polizeidirektor, den Militärdirektor und die Bataillonskommandanten.
Art. 19. Der Große Rath überwacht die ganze Landesverwaltung.
Er prüft jährlich die Staatsrechnung, sowie die Jahresrechnungen der Kantonalbank; er bestimmt (mit Vorbehalt der Beschränkungen in Art. 2, Ziff. 6) den jährlichen Voranschlag der Einnahmen und Ausgaben des Staatshaushaltes nach Maßgabe der bestehenden Gesetze und Beschlüsse, sowie die zur Deckung des Ausfalles nöthige Steuer auf Grund des jeweiligen Steuergesetzes.
Art. 20. Der Große Rath beurtheilt zweitinstanzlich die vom Kleinen Rath entschiedenen Rekurse politischer und administrativer Natur, wenn nicht durch Spezialgesetze der Weiterzug ausgeschlossen ist oder andere Behörden dafür bestimmt sind (Art. 34).
Rekurse, welche sich auf die Wahl von Abgeordneten zum Großen Rath beziehen, werden von letzterem, als eigene Legitimationssache, allein entschieden.
Art. 21. Dem Großen Rathe stehen die Ertheilung des Kantonsbürgerrechtes und die Ausübung des Begnadigungsrechtes nach Maßgabe der betreffenden Gesetze zu.
Art. 22. Der Große Rath wird vom Kleinen Rath einberufen und versammelt sich jährlich ordentlicherweise ein Mal; außerordentlicherweise so oft er selber oder der Kleine Rath es für nothwendig hält, sowie auf Begehren von wenigstens 5000 Stimmberechtigten oder von 20 seiner Mitglieder.
Art. 23. Nach jedesmaliger Versammlung ertheilt der Große Rath den Gemeinden Bericht über seine Verhandlungen und promulgirt die vom Volke angenommenen Gesetze, mit Vorbehalt der Delegation an den Kleinen Rath laut Art. 16, sowie seine eigenen Verordnungen wichtigeren Beschlüsse.
Art. 24. Das den Kantonen zufolge Art. 89 der Bundesverfassung mit Bezug auf die eidgenössische Gesetzgebung zukommende Recht wird vom Großen Rathe nach den näheren Bestimmungen des Art. 6 ausgeübt.
Art. 25. Die Standeskommission besteht aus dem Kleinen Rathe, dessen Stellvertretern und noch 9 Mitgliedern (mit ebensovielen Suppleanten), welche vom Großen Rathe jeweilen auf zwei Jahre gewählt werden.
Art. 26. Sie wird vom Kleinen Rathe regelmäßig zur Vorberathung der dem Großen Rathe vorzulegenden Geschäfte, und so oft es der erstere für nothwendig erachtet, zur Mitberathung und Erledigung wichtigerer Regierungsgeschäfte einberufen.
Sie muß einberufen werden, wenn Mahnungen zu Hülfeleistungen oder zu militärischen Aufgeboten von andern Kantonen an die Regierung gelangen; in allen Fällen, wo die Ruhe des Kantons von innen oder von außen bedroht wird, und überhaupt bei wichtigen und dringenden Umständen, wo der Große Rath nicht sogleich versammelt werden kann, und zwar auch, wenn nur eines der Mitglieder des Kleinen Raths ihre Versammlung verlangt.
Art. 27. Sie entwirft oder begutachtet zu Handen des Großen Rathes diejenigen Gesetzesvorschläge und Beschlussesanträge, mit deren Vorberathung sie von demselben beauftragt wurde, oder die sie von sich aus an denselben zu bringen für gut findet, sowie diejenigen, welche auf dem Wege der Initiative an den Großen Rath gelangen.
Art. 28. Von ihren Verhandlungen ist sie dem Großen Rathe Rechenschaft schuldig.
Art. 29. Der Standeskommission stehen folgende Wahlen
auf je eine Amtsdauer von drei Jahren zu:
des Kanzleidirektors,
des Standesbuchhalters,
des Standeskassiers,
des Oberingenieurs,
des Forstinspektors,
des Direktors der Korrektions- und Irrenverwahrungsanstalt,
und
des Kantonalbankrathes.
Art. 30. Der Kleine Rath besteht aus drei Mitgliedern und hat drei Stellvertreter, welche vom Großen Rathe gewählt werden.
Dieselben bleiben zwei Jahre im Amt und sind nach Ablauf derselben wieder wählbar, können aber nicht länger als zwei aufeinander folgende Amtsperioden diese Stelle bekleiden. Sie treten nicht zu gleicher Zeit aus. Der Große Rath setzt hierüber das Nähere fest.
Der Präsident des Kleinen Rathes wird aus dessen Mitgliedern alljährlich vom Großen Rathe für das nächste Amtsjahr gewählt. Der abtretende Präsident ist für das nächstfolgende Jahr als Präsident nicht wählbar.
Art. 31. Dem Kleinen Rathe liegt ob:
Die Leitung und Beaufsichtigung aller staatlichen
Einrichtungen und aller Fächer der Landesverwaltung, insbesondere des Finanz-
und Bankwesens, des Straßen- und Bau-, Erziehungs-, Sanitäts-, Polizei-, Forst-,
Militär- und Armenwesens.
Er beaufsichtigt die Verwaltung des kantonalen Straf-, sowie
der Korrektions- und Irrenverwahrungsanstalt.
Art. 32. Er sorgt für Handhabung der Kantons- und, soweit es ihm zukommt, der Bundesverfassung, sowie für die Vollziehung der kantonalen und eidgenössischen Gesetze, Verordnungen und Beschlüsse.
Art. 33. Der Kleine Rath sorgt für die Erhaltung öffentlicher Ruhe und Sicherheit.
Zu diesem Zwecke ist er in Fällen von Dringlichkeit, und wenn der Große Rath nicht versammelt ist, befugt, innert den Schranken der Bundesverfassung von sich aus nach Bedürfniß Militärmannschaft aufzubieten, unter Vorbehalt unverzüglicher Einberufung der Standeskommission. In erstern Fällen hat er jedoch gleichzeitig den Großen Rath einzuberufen.
Art. 34. Der Kleine Rath entscheidet, mit Vorbehalt des Weiterzuges an den Großen Rath und mit Ausnahme der letzterm allein unterstellten Legitimationsfragen, alle Streitigkeiten politischer und administrativer Natur (Art. 20).
Art. 35. Der Kleine Rath wählt alle Beamten und Angestellten des Kantons, deren Ernennung nicht ausdrücklich dem Großen Rathe, der Standeskommission oder anderen Behörden zugeschieden ist. Er stellt für dieselben die nöthigen Reglemente und Instruktionen auf und überwacht die Erfüllung aller Obliegenheiten der ihm unterstellten Beamtungen.
Art. 36. Er verhandelt mit den eidgenössischen und mit den Behörden der andern Kantone, sowie, innert den Schranken der Bundesverfassung, mit den auswärtigen Behörden. Bei Verträgen, deren definitiver Abschluß außer seiner Kompetenz liegt, hat er die Ratifikation des Großen Rathes, beziehungsweise des Volks, vorzubehalten.
Art. 37. Der Kleine Rath überwacht alle Zweige der Rechtspflege und sorgt dafür, daß Niemand rechtlos bleibe; er entscheidet auf Beschwerden über Verzögerung, Mißbrauch und Verweigerung der Justiz und ordnet auf Klagen über Nichtvollzug von Civil- und Kriminalurtheilen deren Vollziehung auf Kosten der saumseligen Behörde oder Beamtung an.
Der Gesetzgebung bleibt es vorbehalten, einzelne Rekursmaterien dem Ausschusse des Kantonsgerichtes zu überweisen.
Art. 38. Der Kleine Rath führt die Oberaufsicht über die Gemeindeverwaltungen.
Gegen ordnungswidrige Gemeindeverwaltungen hat er, sei es auf Beschwerde, sei es von sich aus, einzuschreiten und kann in dringenden Fällen eine Gemeinde unter zeitweilige Kuratel stellen. Sollte gegen eine solche Verfügung an den Großen Rath rekurrirt werden, so wird er bis zur Erledigung die nöthig erscheinenden sichernden Maßregeln treffen.
Art. 39. Die Geschäftsbehandlung ist kollegialisch, so zwar, daß die kleinräthlichen Beschlüsse von sämmtlichen Regierungsmitgliedern gemeinschaftlich berathen und gefaßt werden müssen. Die Vorbereitung mag einzelnen Mitgliedern übertragen werden.
Art. 40. Das zufolge Art. 89 der Bundesverfassung den Kantonen zustehende Recht kann, wenn der Große Rath nicht versammelt ist, vom Kleinen Rathe nach den Bestimmungen des Art. 6 ausgeübt werden (Art. 6 und 24).
Ihm steht die Ausübung der den Kantonen in Art. 93 der Bundesverfassung eingeräumten Befugniß zu.
Art. 41. Der Kleine Rath hat dem Großen Rathe über seine Amtsführung und die ganze Landesverwaltung alljährlich Bericht zu erstatten.
V. Abschnitt.
Kreise und Gemeinden.
Art. 42. Die Kreise haben in gerichtlicher, politischer und administrativer Beziehung diejenigen Obliegenheiten und Befugnisse, welche ihnen durch das Gesetz zugewiesen werden.
Sie sind berechtigt, ihre politischen und administrativen Angelegenheiten durch allgemeine verbindliche Verordnungen zu regeln und zur Deckung ihrer Verwaltungsausgaben nach billigen und gerechten Grundsätzen Kreissteuern zu erheben. Allfällige Progressivsteuern dürfen die Ansätze des jeweiligen kantonalen Steuergesetzes nicht überschreiten.
Die Kreisverfassungen sind dem Kleinen Rathe zur Prüfung vorzulegen.
Art. 43. Die Kreisbehörden (Kreisgerichte bezw. Kreisräthe, wo solche bestehen) besorgen die politischen und administrativen Angelegenheiten der Kreise.
Die Kreisämter dienen zugleich als Organe der Regierung.
Art. 44. Politische Gemeinden sind diejenigen staatlichen Korporationen, welche Territorialhoheit mit einem bestimmten Gebiete besitzen und als solche gesetzlich anerkannt sind.
Jeder Gemeinde steht das Recht der selbstständigen Gemeindeverwaltung, mit Einschluß der niedern Polizei, zu. Sie ist befugt die dahin einschlagenden Ordnungen festzusetzen, welche jedoch den Bundes- und Kantonsgesetzen und dem Eigenthumsrechte Dritter nicht zuwider sein dürfen.
Sie hat die Verpflichtung für gute Verwaltung ihrer Gemeindeangelegenheiten, namentlich auch ihres Schulwesens und ihres Armenwesens, soweit letzteres nicht Sache der bürgerlichen Korporation ist, zu sorgen, und stellt hiefür die erforderlichen Behörden und Beamten auf.
Sie läßt sich wenigstens alle zwei Jahre über die Verwaltung von den damit Beauftragten öffentlich genaue und spezifizirte Rechnung ablegen.
Die in billigem Maße zu taxirenden Erträgnisse des Gemeindevermögens sind in erster Linie dazu bestimmt, die Gemeindebedürfnisse zu decken. Die Erhebung von Gemeindesteuern ist subsidiär nach billigen und gerechten Grundsätzen zulässig. Besondere Auslagen, welche einzelnen Gattungen des Privateigenthums zu gute kommen, wie solche für Wuhren und Wasserleitungen, können mit Berücksichtigung des denselben gewährten Nutzens auf diese verlegt werden. Das Nähere bestimmt das Gesetz.
Allfällige Progressivsteuern dürfen die Progressionsansätze des jeweiligen kantonalen Steuergesetzes nicht überschreiten. Die Gemeinden sind nicht befugt, vom Kanton für dessen Liegenschaften, Gebäulichkeiten und staatlichen Einrichtungen jeder Art Steuern zu erheben.
Gemeinden mit ordnungswidriger Verwaltung können in dringenden Fällen vom Kleinen Rathe unter Kuratel gestellt werden. Das Nähere bestimmt das Gesetz.
Gemeinde-Ordnungen sind dem Kleinen Rathe zur Prüfung vorzulegen.
Die Ausübung der den Bürgergemeinden und bürgerlichen Korporationen allein zustehenden Befugnisse und Rechte bestimmt das Gesetz.
Die Gemeindevorstände sind Organe der Regierung.
Art. 45. Erziehungswesen. Das Oberaufsichtsrecht über das gesammte Unterrichtswesen steht dem Staate zu.
Dem Staate liegt ob, für Vervollkommnung des Volksschulwesens in allen seinen Beziehungen möglichst zu sorgen, wogegen die Beschaffung der dafür erforderlichen Mittel nach Maßgabe der eidgenössischen und kantonalen Vorschriften, bei angemessener Unterstützung durch den Kanton, zunächst Sache der Gemeinden ist.
Die Volksschule steht unter staatlicher Leitung; der Primarunterricht ist obligatorisch und in den öffentlichen Schulen unentgeltlich.
Der Kanton sorgt für den Gymnasial- und höheren Realunterricht, sowie für die Bildung der Volksschullehrer. Die öffentlichen Schulen sollen von den Angehörigen aller Bekenntnisse, ohne Beeinträchtigung ihrer Glaubens- und Gewissensfreiheit, besucht werden können.
Art. 46. Volkswirthschaft. Im Allgemeinen ist es Aufgabe des Kantons, alle Zweige der Volkswirthschaft, insbesondere die Land- und Alpenwirthschaft und das Gewerbewesen, sowie die öffentlichen Verkehrsanstalten (Straßen, Eisenbahnen, ect.) nach Kräften zu unterstützen und zu fördern.
Die Ablösung der Gemeinazung auf Privatgütern ist zugesichert.
Art. 47. Der Staat führt die Oberaufsicht über alle Zweige der öffentlichen Verwaltung, insbesondere über das Armenwesen und das Sanitätswesen ect.
Art. 48. Verantwortlichkeit. Die Behörden, Beamten und öffentlichen Angestellten sind für ihre Geschäftsführung verantwortlich.
Das Nähere bestimmt das Gesetz.
Art. 49. Unvereinbarkeit von Ämtern. Über die Unvereinbarkeit von Ämtern und Anstellungen wird, insoweit die gegenwärtige Verfassung nicht bereits verfügt, das Gesetz die nöthigen Bestimmungen aufstellen.
Art. 50. Die drei Sprachen des Kantons sind als Landessprachen gewährleistet.
VII. Abschnitt.
Gerichtsbehörden.
Art. 51. 1. Vermittleramt. Jeder Kreis bestellt für eine Amtsdauer von zwei Jahren ein oder zwei Vermittler nebst Stellvertretern.
Art. 52. 2. Kreisgerichte. Jeder Kreis bestellt ein Kreisgericht. Dasselbe besteht aus einem Präsidenten und sechs Beisitzern und hat wenigstens sechs Stellvertreter. Die Mitglieder und Stellvertreter werden direkt von den stimmfähigen Einwohnern eines jeden Kreises frei aus ihrer Mitte auf zwei Jahre gewählt und sind immer wieder wählbar.
Art. 53. 3. Bezirksgerichte. Jeder Bezirk bestellt ein Bezirksgericht. Dasselbe besteht aus einem Präsidenten und sechs Beisitzern und hat sechs ordentliche Stellvertreter. Die Mitglieder und Stellvertreter werden frei aus den stimmfähigen Einwohnern des Bezirks gewählt. Sie bleiben drei Jahre im Amte und sind immer wieder wählbar.
Art. 54. 4. Kantonsgericht. Das Kantonsgericht besteht aus einem Präsidenten und acht Beisitzern und hat acht ordentliche Stellvertreter. Die Mitglieder und die Stellvertreter bleiben drei Jahre im Amt und sind immer wieder wählbar.
Den Präsidenten bezeichnet der Große Rath für die gleiche Amtsdauer frei aus den Mitgliedern des Kantonsgerichts.
Art. 55. 5. Gantgericht. In jedem Kreis werden vom Kreisgerichte ein oder mehrere Schatzungsgerichte für den Schuldentrieb für eine Amtsdauer von zwei Jahren aufgestellt.
Art. 56. Das Nähere über die Gerichtsbehörden bestimmt das Gesetz.
Art. 57. Rechtsanstände zwischen dem Kanton und Privaten oder Korporationen werden auf dem gewöhnlichen Civilwege ausgetragen.
Anstände, welche in die Kompetenz des Bundesgerichtes fallen, sollen in erster und letzter Instanz von diesem Gerichte beurtheilt werden.
VIII.
Abschnitt.
Revision der Verfassung.
Art. 58. Die Revision der Verfassung im Ganzen oder in einzelnen Bestimmungen kann jederzeit vorgenommen werden.
Der Große Rath kann eine Revision von sich aus vorschlagen und einen bezüglichen Entwurf zur Volksabstimmung bringen, - oder er kann, falls er seinerseits eine Revision als zeitgemäß erachtet, vorerst, unter Mitgabe eines bezüglichen Gutachtens, das Volk anfragen, ob eine solche stattfinden soll oder nicht.
Die gleiche Frage muß, ebenfalls mit einem großräthlichen Gutachten begleitet, der Volksabstimmung unterstellt werden, wenn 5000 stimmberechtigte Kantonseinwohner es verlangen.
Mit der Frage, ob eine Verfassungsrevision stattfinden soll oder nicht, hat das Volk für den bejahenden Fall gleichzeitig zu entscheiden, ob die Ausarbeitung durch den bestehenden oder aber durch einen neu zu wählenden Großen Rath zu geschehen habe.
Schlußartikel. Die Aufstellung von Übergangsbestimmungen bleibt dem Großen Rathe vorbehalten.
nach dem Beschuß des Großen Rathes vom 3. Juni 1880.
Art. 1. Für den Fall der Genehmigung der neuen Verfassung durch die Bundesbehörden tritt dieselbe mit 1. Januar 1881 in Kraft.
Die Wahl der Standeskommission, der Mitglieder des Kleinen Rathes, der Regierungsstatthalter und der Ständeräthe erfolgt für die nächstbevorstehende Amtsperiode auf Grund der gegenwärtig diesfalls gültigen verfassungsmäßigen und reglementarischen Bestimmungen.
Bezüglich der Wahl der beiden Abgeordneten zum Ständerathe durch das Volk soll die Regierung rechtzeitig, nach Genehmigung der neuen Verfassung durch die Bundesbehörden, die erforderlichen Anordnungen treffen. Die Amtsdauer der durch das Volk zu wählenden Ständeräthe beginnt mit 1. Juli 1881.
Die Verfassung wurde durch Bundesbeschluss vom 2. Juli 1880 gewährleistet.
Art. 2. Diejenigen Schweizerbürger, welche auf Grund der bisherigen Verfassung schon nach zurückgelegtem 17tem Altersjahre die Stimmberechtigung erworben hatten, behalten dieselbe auch nach Inkrafttreten der neuen Verfassung bei, wenngleich sie das 20ste Altersjahr noch nicht zurückgelegt haben sollte.
Art. 3. Diejenigen kantonalen Gesetze und Verordnungen, welche mit der Verfassung in Widerspruch stehen, treten mit Inkrafttreten derselben, bezw. mit der Erlassung der darin in Aussicht genommenen Gesetze außer Kraft.