Verfassung der helvetischen Republik

vom 12. April 1798

 

Erster Titel.
Hauptgrundsätze.

1. Die helvetische Republik macht Einen unzertheilbaren Staat aus. Es giebt keine Grenzen mehr zwischen den Kantonen und den unterworfenen Landen, noch zwischen einem Kanton und dem andern. Die Einheit des Vaterlandes und das allgemeine Interesse vertritt künftig das schwache Band, welches fremdartige, ungleiche, in keinem Verhältnisse stehende, kleinlichen Lokalitäten und einheimischen Vorurtheilen unterworfene Theile zusammenhielt und auf’s Gerathewohl leitete. So lange alle einzelnen Theile schwach waren, musste auch das ganze schwach sein. Die vereinigte Stärke Aller wird künftig eine allgemeine Stärke bewirken.

2. Die Gesammtheit der Bürger ist der Souverain oder Oberherrscher. Kein Theil und kein einzelnes Recht der Oberherrschaft kann vom Ganzen abgerissen werden, um das Eigenthum eines Einzelnen zu werden. Die Regierungsform, wenn sie auch sollte verändert werden, soll allezeit eine repräsentative Demokratie sein.

3. Das Gesetz ist die Erklärung des Willens des Gesetzgebers, welchen er, nach der von der Konstitution festgesetzten Art, bekannt gemacht hat.

4. Die zwei Grundlagen des öffentlichen Wohls sind die Sicherheit und die Aufklärung. Die Aufklärung ist dem Wohlstand vorzuziehen.

5. Die natürliche Freiheit des Menschen ist unveräusserlich. Sie hat keine andern Grenzen als die Freiheit jedes andern, und die Verfügungen, welche das allgemeine Wohl unumgänglich erheischt; jedoch unter der Bedingung, dass diese unumgängliche Nothwendigkeit rechtskräftig erwiesen sei. Das Gesetz verbietet alle Art von Ausgelassenheit, es muntert auf, Gutes zu thun.

6. Die Gewissensfreiheit ist uneingeschränkt, jedoch muss die öffentliche Äusserung von Religionsmeinungen die Eintracht und Ruhe nicht stören. Jede Art von Gottesdienst ist erlaubt, wenn er die öffentliche Ordnung nicht stört, und nicht Herrschaft oder Vorzug verlangt. Jeder Gottesdienst steht unter der Aufsicht der Polizei, welche das Recht hat, sich die Lehren und Pflichten, die gepredigt werden, vorlegen zu lassen. Das Verhältnis, in welchem irgend eine Sekte gegen eine fremde Gewalt stehen mag, darf weder auf Staatssachen, noch auf den Wohlstand und die Aufklärung des Volkes Einfluss haben.

7. Die Pressefreiheit ist eine natürliche Folge des Rechtes, das Jeder hat, sich unterrichten zu lassen.

8. Es gibt keine erbliche Gewalt, Rang, noch Ehrentitel. Die Strafgesetze sollen jeden Titel und jedes Institut untersagen, welches an Erblichkeit erinnert. Die erblichen Ehrentitel erzeugen Hochmuth und Unterdrückung, führen zur Unwissenheit und Trägheit, und leiten die Meinung über Dinge, die Begebenheiten und die Menschen irre.

9. Der Staat hat kein Recht auf das Privateigenthum, ausgenommen in dringenden Fällen, wenn dasselbe zum allgemeinen Gebrauch unentbehrlich ist, und gegen eine gerechte Entschädigung.

10. Ein Jeder, der durch gegenwärtige Staatsverfassung das Einkommen einer Stelle oder Pfründe verliert, soll als Entschädigung eine lebenslängliche Rente erhalten, ausgenommen in den Fällen, in welchen ihn eine ergiebige Stelle oder eine Pension auf eine billige Art entschädigt. Es sind jedoch von aller Entschädigung oder Vergütung ausgeschlossen diejenigen, welche von dem Augenblicke an, da gegenwärtiger Entwurf der Verfassung bekannt gemacht wird, sich der Einführung einer weisen, politischen Gleichheit zwischen den Bürgern und Unterthanen, und des Systems der Einheit und der Gleichheit zwischen den Mitgliedern des allgemeinen Vaterlandes widersetzen; ausserdem sollen seiner Zeit strenge Massregeln gegen diejenigen ergriffen werden, deren Widerstand sich durch Arglist, Treulosigkeit oder Bosheit ausgezeichnet hätte.

11. Die Steuern müssen zum allgemeinen Nutzen angewandt werden. Die Auflagen müssen mit dem Vermögen, den Einkünften und der Einnahme der Steuerbaren im Verhältniss stehen, jedoch kann dieses Verhältniss nicht ganz genau sein. Eine allzu grosse Genauigkeit würde Ursache sein, dass die Auflagen drückend, das einsammeln derselben kostspielig und das Ganze dem Glück der Nation nachtheilig würde.

12. Die Besoldungen der öffentlichen Beamten sollen mit der Arbeit und den Talenten im Verhältniss stehen, welche ihre Stelle erfordert. Es muss darauf Rücksicht genommen werden, in wie weit es gefährlich ist, solchen Leuten Stellen anzuvertrauen, die sich leicht bestechen lassen könnten; auch muss man hindern, dass sie nicht das ausschliessliche Eigenthum der Reichen werden. Die Besoldungen sollen in Früchten bestimmt, und solange ein Beamter an seiner Stelle sein wird, nicht vermindert werden können.

13. Kein liegendes Gut kann unveräusserlich erklärt werden, weder für eine Korporation oder für eine Gesellschaft, noch für eine Familie. Das ausschliessliche Recht, liegende Güter zu besitzen, führt zur Sklaverei. Der Grund und Boden kann mit keiner Last, Zins oder Dienstbarkeit beschwert werden, wovon man sich nicht loskaufen könnte.

14. Der Bürger ist sich dem Vaterlande, seiner Familie und den Bedrängten schuldig. Die Freundschaft ist ihm heilig; er opfert ihr aber keine Pflichten auf. Er schwört allen persönlichen Hass und alle Eitelkeit ab. Er will nur die moralische Veredlung des menschlichen Geschlechts, er ladet ohne Unterlass zur süssen Bruderliebe ein; sein Ruhm ist die Achtung guter Menschen, und sein Gewissen entschädigt ihn, wenn man ihm ungerechter Weise diese Achtung versagt.

Zweiter Titel.
Eintheilung des helvetischen Gebiets.

15. Helvetien ist in Kantone, in Distrikte, in Gemeinden und in Sektionen oder Quartiere der grossen Gemeinden eingetheilt. Diese Eintheilungen beziehen sich auf die Wahlen, die Gerichtsbarkeit und Verwaltung; sie machen aber keine Grenzen aus.

16. Der Umfang der Kantone, Distrikte, Gemeinden und Sektionen von Gemeinden kann durch das Gesetz verändert oder berichtigt werden. Die Kantone sind gleich, und das Loos bestimmt alle Jahre ihren Rang.

17. Die Hauptstadt der helvetischen Republik soll durch die gesetzgebenden Räthe bestimmt werden. Einstweilen ist die Gemeine Luzern der Hauptort.

18. Die Graubündner sind eingeladen, ein Theil der Schweiz zu werden, und wenn sie dieser Einladung entsprechen, so sollen der Kantone einstweilen zwei und zwanzig an der Zahl sein, nämlich:
    Der Walliser Kanton: Hauptort Sitten.
    Der Lemanische Kanton oder das Waadtland: Hauptort Lausanne.
    Der Kanton Freiburg, mit Inbegriff der Landvogteien Peterlingen, Wifflisburg bis an die Brüsch, und Murten: Hauptort Freiburg.
    Der Kanton Bern, ohne das Waadtland und das Aargau: Hauptort Bern.
    Der Kanton Solothurn: Hauptort Solothurn.
    Der Kanton Basel, mit Inbegriff dessen, was ihm in dem Frikthal könnte abgetreten werden: Hauptort Basel.
    Der Kanton Aargau v. Aarburg u. Zofingen an: Hauptort Aarau.
    Der Kanton Luzern: Hauptort Luzern.
    Der Kanton Unterwalden, mit Inbegriff von Engelberg: Hauptort Stanz.
    Der Kanton Uri, mit Inbegriff des Urseler-Thales: Hauptort Altdorf.
    Der Kanton Bellinzona, welcher die vier obern italienischen Landvogteien begreift, nämlich: das Liviner-Thal, Bollenz, Riviera und Bellinzona: Hauptort Bellinzona.
    Der Kanton Lugano, welcher die vier untern italienischen Landvogteien begreift, nämlich: Lugano, Mendrisio, Locarno und Valmaggia: Hauptort Lugano.
    Der Kanton Rhätien oder Graubündnerland: Hauptort Chur.
    Der Kanton Sargans, mit Inbegriff des Rheinthals, Sax, Gams, Werdenberg, Gaster, Utznach, Rapperschweil und March: Hauptort Sargans.
    Der Kanton Glarus: Hauptort Glaris.
    Der Kanton Appenzell: Hauptort Appenzell oder abwechselnd Herisau.
    Der Kanton Thurgau: Hauptort Frauenfeld.
    Der Kanton St. Gallen, welcher die Stadt und das von allen oberherrlichen Rechten befreite Gebietes des Abtes enthält: Hauptort St. Gallen.
    Der Kanton Schaffhausen: Hauptort Schaffhausen.
    Der Kanton Zürich mit Inbegriff von Winterthur: Hauptort Zürich.
    Der Kanton Zug, mit Inbegriff der Unterthanen der Stadt, der Grafschaft Baden und der freien Ämter: Hauptort Zug.
    Der Kanton Schwyz, mit Inbegriff von Gersau, Küssnacht, Einsiedeln und den Höfen: Hauptort Schwyz.

Dritter Titel.
Politischer Stand der Bürger.

19. Alle diejenigen, welche jetzt wirkliche Bürger einer regierenden oder Munizipalstadt, eines unterworfenen oder freien Dorfes sind, werden durch gegenwärtige Konstitution Schweizerbürger. Ebenso diejenigen, welche das ewige Hintersässrecht hatten, und alle in der Schweiz geborene Hintersässen.

20. Der Fremde wird Bürger, wenn er zwanzig Jahre lang nach einander in der Schweiz gewohnt, wenn er sich nützlich gemacht hat, und wegen seiner Aufführung und Sitten günstige Zeugnisse aufweisen kann. Er muss aber für sich und seine Nachkommen auf jedes andere Bürgerrecht Verzicht leisten, er muss den Bürgereid ablegen, und sein Name wird in das Register der Schweizerbürger, welches in dem Nationalarchiv niedergelegt wird, eingeschrieben.

21. Der in der Schweiz wohnhafte Fremde ist den nämlichen Auflagen, der Wache und der Miliz unterworfen, wie der Bürger.

22. Die Bürger haben allen das Recht, in Primarversammlungen zu stimmen und zu öffentlichen Ämtern gewählt zu werden.

23. Die Fremden können nur zu den militärischen Ämtern gelangen, und zu denjenigen Stellen, welche auf Erziehung und Künste Bezug haben; auch können sie als Sekretäre und Unteragenten der öffentlichen Beamten angestellt werden. Das Verzeichniss von allen diesen also angestellten Fremden soll alle Jahre von der Regierung bekannt gemacht werden.

24. Ein jeder Bürger, wenn er zwanzig Jahre alt ist, muss sich in das Bürgerregister seines Kantons einschreiben lassen und den Eid ablegen: "seinem Vaterlande zu dienen, und der Sache der Freiheit und Gleichheit als ein guter und getreuer Bürger mit aller Pünktlichkeit und allem Eifer, so er vermag, und mit einem gerechten Hass gegen die Anarchie oder Ausgelassenheit anzuhangen." Dieser Eid wird von allen jungen Bürgern, die das genannte Alter erreicht haben, in der schönen Jahreszeit an demselben Tage in Gegenwart der Eltern und Obrigkeiten abgelegt, und endiget sich mit einem bürgerlichen Fest. Der Regierungsstatthalter nimmt den Eid ab, und hält eine dem Gegenstand des Festes angemessene Rede.

25. Jeder Bürger ist ein geborner Soldat des Vaterlandes. Er kann sich durch einen andern ersetzen lassen, wenn es das Gesez erlaubt; er ist aber schuldig, wenigstens zwei Jahre lang unter dem auserwählten Korps, welches ein jeder Kanton unterhalten wird, zu dienen. Der Tag, an welchem die jungen Bürger die ersten Waffen erhalten, soll ein bürgerliches Fest sein; der Regierunsstatthalter bewaffnet die Jugend im Namen des Vaterlandes.

26. Die Diener irgend einer Religion können keine Staatsämter bekleiden, noch den Primarversammlungen beiwohnen.

27. Man verliert das Bürgerrecht:
1) durch die Naturalisirung in fremden Landen;
2) durch den Eintritt in irgend eine fremde Korporation, ausgenommen gelehrte Anstalten;
3) durch die Ausreissung oder Desertion;
4) durch eine zehnjährige Abwesenheit, wenn man nicht die Erlaubniss erhalten hat, seine Abwesenheit zu verlängern;
5) durch die Verurtheilung zu entehrenden Strafen, bis zur Wiedereinsetzung in das Bürgerrecht.

Die Fälle, wo die Ausübung der bürgerlichen Rechte suspendirt werden kann, sollen durch das Gesetz bestimmt werden.

Vierter Titel.
Von den Primar- und Wahlversammlungen.

28. Die Primarversammlungen bestehen aus den Bürgern und Bürgerssöhnen, welche seit fünf Jahren in derselben Gemeinde wohnen, vom Tage an gerechnet, allwo sie erklärt haben, dass ihr Wille sei, sich allda häuslich niederzulassen. Es gibt jedoch Fälle, wo die gesetzgebenden Räthe nur den Geburtsort, entweder des Bürgers selbst, oder seines Vaters, wenn er nicht in der Schweiz geboren wäre, für den Wohnsitz anerkennen zu können. Um in einer Primar- oder Wahlversammlung zu stimmen, muss man das 20. Jahr zurückgelegt haben.

29. Jedes Dorf oder Flecken, wo sich 100 Bürger befinden, die das Stimmrecht haben, macht eine Primarversammlung aus.

30. Die Bürger eines jeden Dorfes oder Fleckens, welches nicht 100 stimmfähige Bürger enthält, vereinigen sich mit denen von dem nächstgelegenen Flecken oder Dorf.

31. Die Städte haben eine Primarversammlung in jeder Sektion oder Quartier. Die gesetzgebenden Räthe bestimmen die Anzahl der Bürger.

32. Die Primarversammlungen haben Statt:
1) um die Staatsverfassung anzunehmen oder zu verwerfen;
2) um alle Jahre die Glieder der Wahlversammlung des Kantons zu ernennen.

33. Je auf 100 Personen, welche die erforderlichen Eigenschaften haben, um Bürger zu sein, wird ein Wahlmann ernannt.

34. Die Namen der Erwählten werden dem Regierunsstatthalter zugeschickt, welcher, mit Beistand des Präsidenten von jeder konstituirten Gewalt des Ortes seines Wohnsitzes, öffentlich durch das Loos die Hälfte der Erwählten ausschliessen lässt. Die übriggebliebene Hälfte macht für das Jahr das Wahlkorps aus. Am Tage dieser Ziehung wird ein drittes bürgerliches Fest gefeiert und eine Rede gehalten, worin der Regierunsstatthalter die Grundsätze auseinander setzt, die das Wahlkorps leiten sollen, wenn es zusammenberufen wird, um die ihm obliegenden Ernennungen zu machen. Das erste Mal hat obige Ausschliessung der Hälfte Wahlmänner durch das Loos nicht Statt.

35. Die Wahlkorps erwählen:
1) die Deputirten für das gesetzgebende Korps;
2) die Richter des Kantonsgerichts;
3) die Richter des obern Gerichtshofs;
4) die Mitglieder der Verwaltungskammer; endlich die Suppleanten gedachter Richter und Verwalter.

Fünfter Titel.
Von der gesetzgebenden Gewalt.

36. Die gesetzgebende Gewalt wird durch zwei unterschiedene, abgesonderte, eines von dem andern unabhängige, und jeder ein verschiedenes Kostüm tragende Räthe ausgeübt. Diese beiden Räthe sind: Der Senat, welcher aus den gewesenen Direktoren und vier Deputirten jedes Kantons besteht. Der grosse Rath, welcher das erste Mal aus acht Abgeordneten jedes Kantons besteht. Für die Folge soll das Gesetz die Anzahl bestimmen, welche jeder Kanton nach dem Verhältniss seiner Bevölkerung zu ernennen hat.

37. Im dritten Jahre gegenwärtiger Staatsverfassung, und in der Folge, muss man, um in den Senat erwählt zu werden, entweder Minister oder auswärtiger Agent, oder Mitglied des grossen Rathes, oder des obern Gerichts, oder Regierungsstatthalter, oder Präsident einer Verwaltungskammer, oder eines Kantonsgerichts gewesen sein, oder noch sein.

38. Ferner muss man verheiratet oder Wittwer sein, und das Alter von 30 Jahren erreicht haben; diese zwei letztern Bedingungen sollen sogleich Statt haben.

39. Die gewesenen Direktoren sind von Rechts wegen Mitglieder des Rathes der Alten; es sei denn, dass sie eine andere Stelle annehmen, oder dass sie lieber in die gemeine Bürgerklasse zurückkehren.

40. Jedoch soll kein gewesener Direktor in den Senat eintreten können, so lange unter den übrigen Mitgliedern des Senats, sie mögen gewesene Direktoren oder erwählt sein, ein durch Blut oder Heirath mit ihm in gerader Linie, oder in der Seitenlinie durch Blut verwandtes Mitglied sitzt, bis zum Grad von Oheim und Neffe.

41. Die erwählten Mitglieder des Senats werden alle ungeraden Jahre (1, 3, 5) zum vierten Theil erneuert, so dass jedes erwählte Mitglied 8 Jahre lang diese Stelle bekleidet.

42. Um als Mitglied vom grossen Rathe erwählt zu werden, muss man das 25ste Jahr zurückgelegt haben, um im Genuss des Bürgerrechts zu sein.

43. Der grosse Rath wird alle geraden Jahre (2, 4, 6 etc.) zum dritten Theil erneuert.

44. Die Zeit dieser theilweisen Erneuerung der beiden gesetzgebenden Räthe ist im Spätjahr.

45. Die Mitglieder des Senats, welche es 8 Jahre lang gewesen sind, können erst nach einer Zwischenzeit von 4 Jahren wieder erwählt werden.

46. Die Mitglieder des grossen Rathes, welche es 6 Jahre lang gewesen sind, können erst nach einer Zwischenzeit von 2 Jahren wieder erwählt werden.

47. Der Senat genehmigt oder verwirft die Schlüsse des grossen Rathes.

48. Die bürgerlichen Gesetze jedes Kantons und die sich darauf beziehenden Gebräuche sollen ferner an den Gerichte zur Richtschnur dienen, bis die gesetzgebenden Räthe nach und nach gleichförmige bürgerliche Gesetze werden eingeführt haben. Diese neuen Gesetze können in keinem Falle eine rückwirkende Kraft auf frühere Verträge und Akten haben.

49. Die Sitzungen der beiden Räthe werden öffentlich gehalten; jedoch kann die Anzahl der Zuhörer in jedem Rath die Anzahl seiner Mitglieder nicht übersteigen. Jeder Rath kann sich in ein geheimes Komité verwandeln.

50. Die gesetzgebenden Räthe genehmigen oder verwerfen, auf den Vorschlag des Vollziehungsdirektoriums, alles, was die Finanzen, den Frieden und den Krieg betrifft. Sie können über diese Gegenstände nicht ohne einen solchen Vorschlag des Direktoriums berathschlagen.

51. Die Mitglieder der gesetzgebenden Räthe können nur mit Beobachtung folgender Formalitäten vor Gericht gezogen werden.

52. Keine Denunziation gegen ein Mitglied des einen oder des andern Rathes kann zu einer gerichtlichen Verfolgung Anlass geben, wenn sie nicht schriftlich aufgesetzt, unterschrieben und dem grossen Rathe zugeschickt worden ist.

53. Der grosse Rath berathschlaget zuvor über die Frage, ob die Denunziation soll angenommen werden.

54. Wenn die Denunziation angenommen ist, so wird der Beschuldigte vorgeladen, sich vor dem grossen Rath zu stellen. Man muss ihm drei volle Tage hiezu frei lassen. Erscheint er, so wird er im Innern des grossen Rathes verhört.

55. Der Beschuldigte mag sich gestellt haben oder nicht, so erklärt der grosse Rath, nach Verlauf der durch die Zitation angesetzten Zeitfirst, ob es der Fall sei, sein Betragen zu untersuchen oder nicht.

56. Wenn der grosse Rath erklärt hat, dass eine Untersuchung Statt habe, so wird der Beschuldigte durch den Senat vorberufen, es werden ihm zwei volle Tage gegeben, um zu erscheinen und wenn er erscheint, so wird er im Innern des Orts der Sitzungen des Senats verhört.

57. Der Beschuldigte mag sich gestellt haben oder nicht, so bestätigt oder verwirft der Senat nach Verlauf dieser Zeit, und nachdem er über die Sache beratschlagt hat, den Beschluss des grossen Rathes.

58. Bestätigt er denselben, so verweist er den Beschuldigten vor den obern Gerichtshof, welcher entscheidet, ob eine Anklage Statt habe.

59. Jede Diskussion in dem einen oder andern Rathe, wegen einer Beschuldigung gegen eines seiner Mitglieder wird in einem geheimen Komité vorgenommen.

60. Jede Berathschlagung über diese Gegenstände geschieht mit Aufrufung der Namen und durch geheime Stimmzettel.

61. Die von dem obern Gerichtshof gegen ein Mitglied eines gesetzgebenden Rathes ausgesprochene Anklage zieht die Suspension nach sich.

62. Wenn die Anklage ausgesprochen ist, beruft das höchste Gericht seine Suppleanten zu sich, und macht mit denselben nur ein einziges Tribunal aus; es instruirt den Prozess und spricht das Urtheil, von welchem nicht appellirt werden kann. Eine Stimme mehr als das Drittel spricht los. Dieses Drittel wird so genau als möglich bestimmt, so dass das Drittel von zehn drei, von eilf vier ist, u. s. w.

63. Wenn der Beschuldigte durch das Urtheil des obern Gerichtshofes losgesprochen ist, so tritt er wieder in sein Amt ein.

64. Die beiden Räthe sind gehalten, jedes Jahr ihre Sitzungen drei Monate lang einzustellen; sie können es aber für eine längere Zeit thun.

65. Jeder der Räthe hat seine besondere Wache. Die Wache eines Rathes kann nicht zahlreicher sein, als die Wache des andern, noch als die des Vollziehungsdirektoriums.

66. Jeder Rath hat die Polizei im Ort seiner Sitzungen und im äussern Umfang, den er bestimmt hat. Dieser äussere Umfang kann nur von einem mit Mauern, Hecken oder sonst umgebenen Platz verstanden werden.

67. In keinem Falle können die gesetzgebenden Räthe, weder insbesondere, noch mit einander, noch durch einen Ausschuss, die vollziehende noch die richterliche Gewalt ausüben.

68. Die gesetzgebenden Räthe sind nicht befugt, einem oder einigen ihrer Mitglieder, noch irgend Jemandem, irgend eines der Geschäfte zu übertragen, welche ihnen die Verfassung auferlegt hat.

69. In keinem Falle können sich die beiden Räthe in Einem Saale vereinigen.

70. Weder der eine noch der andere Rath kann aus sich selbst einen bleibenden Ausschuss ernennen. Jeder Rath hat das Recht, wenn Gegenstände vorkommen, die einer vorläufigen Untersuchung bedürfen, aus seiner Mitte eine Kommission zu ernennen, welche sich bloss auf den Gegenstand einschränkt, um derentwillen sie ernannt worden ist, und welche aufgehoben ist, so bald der Rath über diesen Gegenstand einen Beschluss gefasst hat.

Sechster Titel.
Vollziehungsdirektorium.

71. Die vollziehende Gewalt ist einem aus fünf Mitgliedern bestehenden Vollziehungsdirektorium übertragen. Das Vollziehungsdirektorium wird alle Jahre, drei Monate vor der Erneuerung des gesetzgebenden Rathes, folglich im Anfang des Sommers, theilweise erneuert.

72. Um als Direktor erwählt zu werden, muss man das Alter von 40 Jahren erreicht haben, und verheiratet oder im Wittwenstand sein. Diese Verfügung gilt auch schon für die nächsten Wahlen. Vom dritten Jahre an, nachdem gegenwärtige Konstitution eingeführt sein wird, muss man ausserdem entweder Mitglied eines der gesetzgebenden Räthe, oder Minister, oder Mitglied des obern Gerichtshofs, oder endlich Regierungsstatthalter gewesen sein.

73. Die Erwählungsart ist für das erste Jahr folgende: Einer der Räthe verfertigt durch geheimes Stimmgeben eine Liste von fünf Kandidaten, und der andere Rath wählt, durch geheimes Stimmgeben und nach der absoluten Mehrheit der Stimmen in dieser vorgelegten Liste den neuen Direktor. Das Loos entscheidet aber, unmittelbar vor der Wahl, welcher der beiden Räthen die Liste der Kandidaten verfertigt. Diese Operation wird das erste Jahr fünf Mal wiederholt, und das Loos entscheidet, wie die erst ernannten nach und nach austreten.

74. Im zweiten Jahr und den folgenden wird die Wahl weniger einfach sein. Zuerst schliesst das Loos die Hälfte der Mitglieder eines jeden Rathes von der Wahl aus; diese ausgeschlossene Hälfte entscheidet vorläufig, ob man bei der vorzunehmenden Wahl dieses Mal das Loos so viel möglich wolle walten lassen oder nicht. Entscheidet sie verneinend, so nimmt die nicht ausgeschlossene Hälfte die Wahl nach der oben beschriebenen Art vor. Wenn sie aber die Frage bejahend entscheidet, so wird zuvor durch das Loos entschieden, welcher von beiden auf gesagte Art auf die Hälfte herabgesetzte Rath die Kandidatenliste verfertigen solle. Der bestimmte Rath ernennt durch absolute Mehrheit der Stimmen seine sechs Kandidaten.

75. Die austretenden Mitglieder des Vollziehungsdirektoriums können nicht wieder vor einem Zeitverlauf von 5 Jahren erwählt werden. Jedoch soll derjenige, welcher am Ende des ersten Jahres austreten wird, nach Verlauf eines Jahres wieder erwählt werden können. Derjenige, welcher im zweiten Jahre austreten wird, kann nach Verlauf von 2 Jahren wieder erwählt werden. Derjenige, welcher im dritten Jahre austreten wird, kann nach Verlauf von 3 Jahren wieder erwählt werden. Derjenige, welcher im vierten Jahre austreten wird, kann nach Verlauf von 4 Jahren wider erwählt werden.

76. Das Vollziehungsdirektorium sorgt, den Gesetzen gemäss, für die äussere und innere Sicherheit des Staates. Es schaltet über die Kriegsmacht; doch kann in keinem Fall das Direktorium insgesamt, noch eines seiner Mitglieder, weder während der Zeit seiner Amtsverrichtung, noch 2 Jahre lang nach Endigung derselben die Truppen kommandiren.

77. Das Vollzugsdirektorium kann jeden der beiden Räthe einladen, einen Gegenstand in Betracht zu ziehen.

78. Ihm gebührt der erste Antrag, die Strafen zu erlassen oder zu mindern, oder selbst eine Belohnung zu gestatten, im Fall ein Mitschuldiger eines begangenen Verbrechens Entdeckungen macht.

79. Es versiegelt die Gesetze und lässt sie bekannt machen; es besorgt die Vollziehung derselben.

80. Es unternimmt und führt die Unterhandlungen mit den fremden Mächten; aber die Verträge, welche es unterschreibt und unterschreiben lässt, sind nicht gültig, bevor sie von den gesetzgebenden Räthen in einem geheimen Comité untersucht und genehmiget worden. Die Verfügungen der geheimen Artikel werden ohne die Genehmigung der gesetzgebenden Räthe vollzogen; sie dürfen aber den öffentlichen Artikeln und der Verfassung nicht entgegen sein.

81. Das Direktorium legt alle Jahre den gesetzgebenden Räthen Rechnung ab über die Verwendung der einem jeden Departement angewiesenen Gelder, ausser denen, so ihm für persönliche oder geheime Ausgaben besonders anvertraut worden sind.

82. Die Ernennung, Zurückberufung und Absetzung aller Anführer und Offiziere der Armee in jedem Grade, der Minister und diplomatischen Agenten, der Kommissarien der Nationalschatzkammer, der Regierunsstatthalter, des Präsidenten, der öffentlichen Ankläger und Schreiber des obern Gerichtshofes, und Obereinnehmer der Einkünfte der Republik steht ihm zu. Die Unterbedienten und Unteragenten werden von denjenigen ernannt, von denen sie unmittelbar abhangen.

83. Wenn das Direktorium von einer wider die äussere oder innere Sicherheit des Staates angesponnenen Verschwörung benachrichtet wird, so kann es Vorführungs- und Verhaftsbefehle gegen diejenigen ergehen lassen, welche man für die Urheber oder Mitschuldigen hält; es kann sie verhören; allein es ist unter den wider das Verbrechen einer willkürlichen Verhaftung bestimmten Strafen verbunden, dieselben in Zeit von zwei Tagen vor die Polizeibeamten zu verweisen, damit den Gesetzen gemäss verfahren werde.

84. Es sind vier Minister im Staate. Der Minister der auswärtigen Geschäfte und des Kriegswesens; der Minister der Gerechtigkeitspflege und der Polizei; der Minister der Finanzen, des Handels, des Ackerbaues und der Handwerke; der Minister der Wissenschaften, schönen Künste, öffentlichen Gebäuden, Brücken und Strassen. Was Spitäler, die für die Armee bestimmten Unterstützungen und das Betteln betrifft, so gehören diese Gegenstände in das Fach des Justiz- und Polizeiministers. Das Gesetz kann obige Austheilung der den Ministern zugetheilten Geschäfte verändern. Es kann die Zahl der Minister auf sechs, nicht aber auf fünf festsetzen, noch ihrer weniger als vier bestimmen.

85. Alles, was in Ansehung des gerichtlichen Verfahrens gegen die Mitglieder der gesetzgebenden Räthe verfügt ist, gilt auch von den Mitglieder des vollziehenden Direktoriums.

Siebenter Titel.
Oberster Gerichtshof.

86. Der oberste Gerichtshof besteht aus einem von jedem Kanton ernannten Richter. Alle Jahre wird der vierte Theil seiner Mitglieder ernannt, und zwar drei Jahre lang fünf, das vierte Jahr aber sieben Mitglieder.

87. Unter den neuerwählten Richtern ernennt das Direktorium den Präsidenten, es ernennt auch den öffentlichen Ankläger und den Obergerichtsschreiber. Es werden so viele Suppleanten als Richter erwählt; sie werden zur nämlichen Zeit als diese erneuert. Dieser Gerichtshof richtet die Mitglieder der gesetzgebenden Räthe, und das Vollziehungsdirektorium, wie oben gesagt worden.

88. Dieser Gerichtshof richtet ferner ohne Appellation entweder allein, oder mit Zuziehung seiner Suppleanten in Kriminalsachen, welche die Todesstrafe oder die Einsperrung, oder die Deportation auf zehn Jahre oder mehr nach sich ziehen.

89. Er kassirt auch in Civilsachen die Sprüche der untern Gerichte, welche aus Mangel der Kompetenz, wegen Verletzung der Form oder Staatsverfassung nichtig sind.

90. Der einstweilige Sitz des obersten Gerichtshofes ist in der nämlichen Gemeinde, wo die gesetzgebenden Räthe und das Vollziehungsdirektorium residiren. Die gesetzgebenden Räthe können den Sitzungsort desselben ändern, insofern das Vollziehungsdirektorium den Vorschlag hierzu macht.

Achter Titel.
Von der bewaffneten Macht.

91. Es soll in Friedenszeiten ein besoldetes Truppenkorps gehalten werden, welches durch freiwillige Anwerbung und im Fall der Noth auf die durch das Gesetz bestimmte Art formirt werden soll.

92. Es soll in jedem Kanton ein Korps von auserlesenen Milizen oder Nationalgarden sein, welche allezeit bereit sind, im Nothfall zu marschiren, entweder um der gesetzlichen Obrigkeit Hülfe zu leisten, oder einen ersten fremden Angriff zurück zu treiben.

Neunter Titel.
Staatsverbrechen.

93. Jede Anklage wegen Staatsverbrechen, wegen Dienstfrevel, Veruntreuung, direkter oder indirekter Bestechung, gehört vor den Gerichtshof des Ortes, wo das Verbrechen begangen worden, oder, wenn dieser Ort nicht angegeben ist, vor den Gerichtshof des Ortes, wo der Hauptbeklagte seine gewöhnliche Wohnung hat. Dieser Gerichtshof untersucht vor Allem, ob der Fall einer Anklage Statt finde; in diesem Fall beruft er seine Suppleanten zu sich, und macht mit ihnen einen peinlichen Gerichtshof in erster Instanz aus.

94. Wenn durch den Verurtheilten oder durch den öffentlichen Ankläger an den obern Gerichtshof appelirt worden, so soll dieser wie das untere Gericht verfahren, und das Endurtheil nicht anders als mit Zuziehung seiner Suppleanten aussprechen.

Zehnter Titel.
Kantonsobrigkeiten.

95. Die drei ersten Obrigkeiten von jedem Kanton sind der Regierunsstatthalter, die Verwaltungskammer und das Kantonsgericht.

96. Der Regierunsstatthalter stellt die vollziehende Gewalt vor. Sein Stellvertreter ist der Unterstatthalter der Gemeinde, wo er seinen Sitz hat. Er hat die Aufsicht über alle Gewalten und Bedienten, in der Ausübung ihrer Ämter, und ermahnt sie an ihre Pflicht. Er übermacht ihnen die Gesetze, wie auch die Befehle des Direktoriums. Er nimmt ihre Anmerkungen, Vorschläge und Klagen an; er ist verbunden, sich von Zeit zu Zeit in die verschiedenen Distrikte des Kantons zu begeben, um seine Aufsicht auszuüben. Er selbst kann nichts verwilligen, sondern nimmt bloss die Bittschriften der Bürger an und lässt sie den gehörigen Obrigkeiten zukommen. Er beruft die Primarversammlungen und die Wahlkorps zusammen. Er hat den Vorsitz bei den bürgerlichen Festen. Er hat das Recht, den Berathschlagungen der Gerichtshöfe und der Verwaltungskammer beizuwohnen; er requirirt allda die Vollziehung der Gesetze, ohne aber dabei seine Stimme zu geben. Er wacht für die innere Sicherheit, übt das Recht der Gefangennehmung aus und schaltet über die bewaffnete Gewalt, ohne dass er sie selbst kommandiren kann. Er ernennt die Präsidenten des Tribunals, der Verwaltungskammer und der niedern Gerichte unter den Richtern und Verwaltern, welche das Wahlkorps gewählt hat. Er ernennt auch die Gerichtsschreiber, den öffentlichen Ankläger und die Unterstatthalter des Hauptorts und der Distrikte. Er selbst wird vom Direktorium erwählt, abgesetzt oder zu einer andern Stelle berufen.

97. Das Kantonstribunal spricht in erster Instanz in Hauptkriminalsachen, und in letzter Instanz in allen andern Kriminalprozessen, und in Civil und Polizeisachen.

98. Dieses Tribunal besteht aus dreizehn Richtern, mit Inbegriff des Präsidenten. Das Wahlkorps erwählt sie. Der Präsident erwählt seinen Stellvertreter unter den Richtern.

99. Die Richter werden von dem Wahlkorps ernannt. Es treten alle Jahre zwei heraus, und jedes Jahr werden sie durch die Wahlkorps der Kantone, welche sie erwählt haben, ersetzt, ausgenommen, dass im sechsten Jahr drei austreten, welche die Wahlkorps auf oben gesagte Art ersetzen. Die austretenden Richter können allezeit wieder erwählt werden.

100. Sie haben Suppleanten für die Vakanzzeit und im Fall einer Krankheit, oder wenn sie in das gesetgebende Korps deputirt werden.

101. Die Verwaltungskammer besorgt die unmittelbare Vollziehung der Gesetze über die Finanzen und den Handel, die Künste, die Handwerke, den Ackerbau, die Lebensmittel, die Unterhaltung der Städte und der Landstrassen. Sie besteht aus einem Präsidenten und vier Beisitzern, welche das Wahlkorps erwählt und wovon alle Jahre einer erneuert wird. Sie können zwei Mal nach einander gewählt werden; nachher aber können sie nicht wieder ernannt werden, als nach einer Zwischenzeit von zwei Jahren. Sie haben Suppleanten für die Vakanzzeit und im Fall einer Krankheit, oder wenn sie in das Gesetzgebungskorps deputirt werden.

102. Ausser diesen drei ersten Gewalten giebt es in dem Hauptort und in den Distrikten von jedem Kanton untere Gerichte für Civil- und Polizeisachen. Diese bestehen aus neun Mitgliedern, welche das Wahlkorps erwählt. Sie bleiben sechs Jahre lang im Amt. Es tritt alle Jahre wieder einer heraus. Der Präsident wird von dem Regierunsstatthalter unter den Beisitzern ernannt.

103. Für die Handhabung der öffentlichen Ruhe und für die Vollziehung der sowohl vom Statthalter als von den Gerichtshöfen oder von der Verwaltungskammer ergehenden Befehle ist in jedem Hauptort und in jedem Distrikte ein Unterstatthalter, welcher in jeder Sektion der Städte und in jedem Dorfe einen Agenten unter sich hat, den er selbst ernennt.

104. Dieser Agent verfährt in wichtigen Fällen nicht ohne Zuziehung zweier Gehülfen, die er sich selbst wählt, wenn er Besitz von seinem Amte nimmt.

105. Das Vollziehungsdirektorium kann, wenn es diess für nöthig findet, die Gerichtshöfe und die Verwaltungskammern absetzen und bis zu den künftigen Wahlen neue ernennen. In den Schlüssen, die es desswegen fasst, müssen immer Beweggründe angeführt sein.

Eilfter Titel.
Abänderung der Konstitution.

106. Der Senat schlägt diese Abänderungen vor; die hierüber gemachten Vorschläge aber erhalten nicht eher die Kraft eines Schlusses, bis sie zwei Mal dekretirt worden, und zwar muss zwischen dem ersten Dekret und dem zweiten ein Zeitraum von 5 Jahren verstreichen. Die Schlüsse des Senats müssen hierauf von dem Grossen Rathe verworfen oder genehmigt, und im letztern Fall den Primarversammlungen zugeschickt werden, um sie anzunehmen oder zu verwerfen.

107. Wenn die Primarversammlungen dieselben annehmen, so sind sie neue Grundgesetze der Staatsverfassung.

Zwölfter Titel.
Mittel, die Konstitution in’s Werk zu setzen.

1. Wenn sich in einer Gemeinde, es sei Stadt oder Dorf, oder in einem Kanton eine gewisse Zahl von Bürgern befindet, welche entschlossen sind, in den Genuss der mit der Freiheit und Gleichheit verknüpften Rechte, welche ihnen die Natur verliehen hat, wieder einzutreten; so sollen sie sich durch eine Bittschrift an die Obrigkeit wenden, damit ihnen erlaubt werde, sich in Primarversammlungen zu vereinigen, um über die Annahme oder Verwerfung obiger Konstitution zu berathschlagen und ihre Wahlmänner zu ernennen. Wenn die Obrigkeit die Bittschrift verwirft, so geben die Unterschriebenen eine zweite ein, welche, so viel möglich, mit neuen Unterschriften versehen sein muss.

2. Wenn die zweite Bittschrift wieder von der Obrigkeit verworfen wird, oder mehr als 3 Tage verlaufen, ohne dass darüber gesprochen wurde, so erklären die Unterschriebenen, dass sie in alle Rechte der ursprünglichen Gleichheit einer jeden Gesellschaft wieder eintreten.

3. Dessen zufolge werden sie sogleich Berufungsbriefe an die Gemeinden und an die schon bestehenden Sektionen von Gemeinden im Kanton abgehen lassen, um sich, zu obenbemeldetem Zweck, in Primarversammlungen zu bilden.

4. Diejenigen Gemeinden, welche aus Schwachheit, Feigheit oder Dummheit dieser Einladung nicht Folge leisten, sollen angesehen sein, als wären sie schon repräsentirt, entweder durch die Gemeinden, welche der Sache der Freiheit und Gleichheit getreu geblieben, oder durch einzelne muthvolle Männer, welche sich als Repräsentanten aufwerfen werden.

5. Jede Primarversammlung wird zuvörderst ihren Präsidenten, ihren Sekretär und 4 Senatoren ernennen, und hierauf über die Annahme der obigen Konstitution berathschlagen. Wenn sie die Konstitution angenommen, erwählt sie ihre Wahlmänner. Die Wahlmänner versammeln sich im Hauptorte des Kantons. Sobald das Wahlkorps gebildet ist, kassirt es die bestehende Regierung. Alsdann ernennt es:
1) vier Deputirte für den Senat und acht für den Grossen Rath;
2) die Mitglieder der Verwaltungskammer;
3) die Mitglieder des Kantonsgerichts;
4) die Mitglieder der untern Gerichte.

6. Solange bis die gesetzgebenden Räthe und das Vollziehungsdirektorium in Thätigkeit sein werden, soll die Verwaltungskammer die völlige gesetzgebende und vollziehende Gewalt, das Kantonsgericht aber die völlige gerichtliche Gewalt ausüben.

7. Die für die gesetzgebenden Räthe ernannten Deputirten vereinigen sich ohne Zeitverlust in der Stadt Luzern, wenn dieser Kanton von der Zahl derjenigen ist, welche sich als unabhängig erklärt haben; wo nicht, in der volkreichsten Stadt oder Ort des Kantons, welcher sich am ersten wird erklärt haben. Sobald der dritte Theil der Mitglieder, aus welchen jeder der beiden gesetzgebenden Räthe bestehen soll, beisammen sein wird, werden sie sich als Senat oder Grosser Rath konstituiren.

8. Sobald die beiden Räthe konstituirt sein werden, so ernennen sie das Vollziehungsdirektorium.

9. Das Vollziehungsdirektorium ernennt sogleich nach seiner Installirung die Minister, die Kommissarien der Nationalschatzkammer, die Regierungsstatthalter, den Präsidenten, öffentliche Ankläger und Schreiber des obern Gerichtshofes und die Obereinnehmer der Staatseinkünfte.

Der Verfassung ging ein, von Ochs aus Basel und La Harpe vom Waadt vom 15. März 1798 vorgelegter Entwurf voraus und hatte die Direktoriumsverfassung Frankreichs von 1795 zum Vorbild. Sie wurde von den Kantonen, teilweise unter Zwang ohne Diskussion in Aarau angenommen und durch die Dekrete vom 5. November 1798, vom 15. Februar 1799 und vom 18. Mai 1799 teilweise wieder auf Zeit suspendiert. Die Verfassung war in seiner Urfassung in französischer Sprache abgefasst.

Durch einen Quasi-Staatsstreich am 7./8. Januar 1800 lösten die gesetzgebenden Räte das Direktorium auf und setzten einen siebenköpfigen Vollziehungsausschuss ein, deren Mehrheit bekennende Gegner der auf der Verfassung von 1798  beruhenden Ordnung waren. Der Vollziehungsausschuss hingegen hat am 7. August 1800 in einem Staatsstreich die gesetzgebenden Räte aufgelöst und einen neuen gesetzgebenden Körper ernannt. Der Vollziehungsausschuss bildete einen fünfköpfigen Vollziehungsrat, der den Namen Direktorium annahm.

Im Januar 1801 legten die führenden Männer des Direktoriums dem französischen Ersten Konsul, General Bonaparte einen neuen Verfassungsentwurf vor, den dieser jedoch verworfen hat. Im Mai 1801 hat das Direktorium dann dem Ersten Konsul erneut eine Verfassung vorgelegt, die mit deren Zustimmung am 29. Mai 1801 bekannt gemacht wurde und die weder den Republikanern (Befürworter einer unteilbaren Republik) noch den Konservativen (Wiederherstellung der alten Ordnung der Eidgenossenschaft) zusagte. In einer Tagsatzung vom 7. September 1801 bis 24. Oktober 1801 wurde die Verfassung diskutiert und nach den Austritt der konservativen Mitglieder aus der Tagsatzung am 24. Oktober 1801 angenommen.
 


Quellen: Carl Hilty, Oeffentliche Vorlesungen über die Helvetik, Bern 1878, S. 731 ff.
K.H.L. Pölitz, Die europäischen Verfassungen seit dem Jahre 1789, Brockhaus Leipzig 1833
http://www.cx.unibe.ch/oefre/vfgeschichte/schweiz/BV1798.htm (existiert nicht mehr)
© 4. Mai 2005

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