Verfassungsrevisionsdekret der Republik und des Kantons Tessin

vom 9. Februar 1891

geändert durch
Verfassungsgesetz vom 2. Juli 1892,
Verfassungsdekret vom 15. Januar 1946.

aufgehoben durch
Verfassung vom 29. Oktober 1967

 

Der Verfassungsrath
der Republik und des Kantons Tessin

verordnet:

Art. 1. Die Wahl der Mitglieder des Großen Rathes und des Verfassungsrathes und der Mitglieder der Gemeinderäthe findet nach dem Proportionalsystem statt, mit der Befugniß des Wählers, für Kandidaten verschiedener Gruppen zu stimmen.

Das Gesetz wird die Anwendung dieses Systems näher bestimmen und für die Großraths- und Verfassungsrathswahlen die Wahlkreise feststellen. Die Wahlkreise dürfen nicht mehr als vierzehn sein.

Durch das Verfassungsgesetz vom 2. Juli 1892 wurde der Art. 1 Abs. 2 aufgehoben und ersetzt durch den Art. 3 des Verfassungsgesetzes.

Art. 2. Die Mitglieder der Gemeinderäthe bleiben vier Jahre im Amte und sind immer wiederwählbar.

Art. 3. In den Bezirken Bellinzona und Riviera zusammen und in jedem der übrigen Bezirke besteht ein aus drei Mitgliedern zusammengesetzes Gericht erster Instanz, welches in Zivil und Strafsachen zu urtheilen hat. Das Gesetz wird die Zuständigkeit desselben festsetzen. Die Mitglieder des Gerichts werden direkt vom Volke gewählt, in den Gemeindeversammlungen eines jeden Wahlbezirks.

Jeder Wahlbezirk ernennt im Weitern sechs Ersatzmänner.

§ 1. Nöthigenfalls kann das Gesetz unter Beiziehung der Ersatzmänner das Gericht in zwei Sektionen von je drei Mitgliedern theilen, wobei es die Kompetenzen einer jeden Sektion im Einzelnen zu bestimmen hat.

§ 2. Das Gesetz wird die Erfordernisse der Wahlfähigkeit und die Gründe der Entsetzung oder Einstellung im Amte bestimmen.

Durch das Verfassungsgesetz vom 2. Juli 1892 wurde der Art. 3 aufgehoben und ersetzt durch die Art. 18, 19 und 22 des Verfassungsgesetzes.

Art. 4. Die Volkswahlen für die Gerichte der ersten Instanz und die Friedensgerichte können nicht gleichzeitig mit den politischen kantonalen Wahlen vorgenommen werden.

Art. 5. Die vollziehende Gewalt wird vom Staatsrathe ausgeübt. Derselbe ist aus fünf, vom Großen Rathe gewählten Mitgliedern zusammengesetzt.

Er bezeichnet aus der Mitte seiner Mitglieder einen Staatssekretär. Die Mitglieder des Staatsrathes bleiben vier Jahre im Amte und sind immer wiederwählbar.

Durch das Verfassungsgesetz vom 2. Juli 1892 wurde der Art. 5 aufgehoben und ersetzt durch den Art. 15 des Verfassungsgesetzes.

Art. 6. Die Mitglieder des Großen Rathes, des Verfassungsrathes und der Gemeinderäthe sind im Alter von vollendeten zwanzig Jahren wählbar; diejenigen des Staatsrathes, des Appellationsgerichts, der Gerichte der - ersten Instanz, der Friedensgerichte und jeder anderen verfassungsmäßigen Behörde erlangen die Wahlfähigkeit mit dem zurückgelegten fünfundzwanzigsten Altersjahre.

Durch das Verfassungsdekret vom 15. Januar 1946 wurde der Art. 6 aufgehoben und ersetzt durch den Art. 1 des Verfassungsdekrets.

Übergangsbestimmungen.

Art. 1 Alle Gemeinderäthe des Kantons sollen innerhalb eines Jahres nach dem Inkrafttreten des gegenwärtigen Verfassungsdekretes vollständig erneuert werden.

Die Erneuerung hat in dem Zeitpunkte stattzufinden, in welchem nach Maßgabe des Reglements die Wahl der zunächst in Austritt kommenden Serie von Gemeinderäthen und Ersatzmännern vorgenommen werden sollte.

Art. 2 Allfällige Ersatzwahlen in den Großen Rath oder in die erstinstanzlichen Gerichte (für Mitglieder oder Ersatzmänner), welche vor der  nach Ablauf ihrer gegenwärtigen, durch Verfassung und Gesetz festgestellten, Amtsperiode vorzunehmenden - Gesammterneuerung dieser Behörden nöthig werden, geschehen auch nach dem Inkrafttreten des vorliegenden Verfassungsdekretes in Gemäßheit der bisherigen Vorschriften.

Art. 3 Diese Verfassungsrevision tritt, vorbehaltlich der in den beiden vorhergehenden Artikeln bezüglich der Wahlen enthaltenen Bestimmungen, mit ihrer Annahme durch das Volk in Kraft.

Art. 4 Mit dem Inkrafttreten des gegenwärtigen Dekretes sind aufgehoben:
a. Der Absatz des Art. 19 der Kantonsverfassung vom 23. Juni 1830, welcher bestimmt: "Die Mitglieder der Gemeinderäthe bleiben während drei Jahren im Amte, werden je zu einem Drittel erneuert und sind wiederwählbar."
b. der Art. 29 der nämlichen Verfassung.
c. Der Art. 4 des Verfassungsdekrets vom 20. November 1875.
d. Absatz 2 des Verfassungsdekrets vom 8. Januar 1880, welcher festsetzt: "Das Gesetz wird die Wahlkreise bestimmen, deren es nicht weniger als siebenzehn geben darf."
e. Die Art. 2 - ausgenommen den § - und 5 des Verfassungsdekretes vom 10. Februar 1883, und überhaupt jede mit dem gegenwärtigen Dekrete im Widerspruche stehenden oder unverträgliche Bestimmung

Art. 5 Die Volksabstimmung über das vorliegende Verfassungsdekret hat den nächstkünftigen 8. März stattzufinden, wofür der Staatsrath das Nöthige anordnen wird.

Innerhalb acht Tagen nach der Volksabstimmung wird der Staatsrath in öffentlicher Sitzung deren Resultat verkünden und im Falle der Annahme des Dekretes ohne Aufschub für dasselbe die eidgenössische Garantie verlangen.

    Bellinzona, den 9. Februar 1891.

Für den Verfassungsrath:
Der Präsident:
Advocat F. Bonzanigo.

Die Mitglieder-Sekretäre:
Advocat Cesare Scazziga.
Advokat Pietro Riva.


Quellen: Schweizerisches Bundesblatt 1891, S. 870
© 25. Juni 2005 - 2. Juli 2005
Home             Zurück          Top