Verfassung des Fürstenthums Neuenburg

vom 18. Juni 1814

aufgehoben durch
Verfassung vom 30. April 1848

Wir, Friedrich Wilhelm III. von Gottes Gnaden König von Preußen, u. s. w., Fürst von Neuenburg.

Die Siege, welche die göttliche Vorsehung Unsern Waffen verliehen hat, gewährten Unserm Herzen die höchst angenehme Befriedigung, treue und geliebte Völker auf immer an Unsere Herrschaft zu knüpfen, die Unserm Hause entweder gewaltsam entrissen, oder, um größeres Unglück von ihm abzuwenden, durch Uns abgetreten wurden. Diese Genugthuung, Threue und Liebe, gewährt Uns vorzüglich die Rückkehr der glücklichen, zwischen dem Fürsten und seinen Unterthanen ein volles Jahrhundert durch bestandenen Verhältnisse. Überzeugt, daß der Wohlstand, wozu euer Kunstfleiß und eure Anstrengungen ein von Natur wenig fruchtbares Land erhoben haben, nicht allein die Frucht einer väterlichen Verwaltung, sondern auch einer wohlberechneten Verfassung und der durch Unsere Vorfahren zu verschiedenen Zeiten ertheilten Freiheiten und Befreiungen waren, haben Wir eine Prüfung dieser letztern vornehmen lassen, in der Absicht, denselben eine neue Gewährleistung zu ertheilen, und nur in solchen Puncten darin Abänderungen vorzunehmen, die mit den gegenwärtigen Fortschritten der Civilisirung, und mit den engern Verhältnissen, welche zwischen dem Fürstenthum und der schweizerischen Eidsgenossenschaft Statt finden werden, unverträglich sind. Wir haben demnach die gegenwärtige Erklärung ausgestellt, welche Wir treu zu halten und zu beobachten verhoffen, und welcher alle Könige von Preußen, Unsere Thronfolger, als souveraine Fürsten von Neuenburg nachzukommen verheißen werden, indem sie nach ihrer Thronbesteigung und in Gemäßheit alter Übung die gegenseitigen Eide leisten.

Wir erklären demnach:

I. Daß Wir und Unsere Nachfolger, die Könige von Preußen, unter Unserer unmittelbaren Herrschaft behalten werden das souveraine Fürstenthum Neuenburg, mit allen seinen Zubehörden, Pertinentien, Domainen und Einkünften jeder Art, um dasselbe in seiner vollkommenen Unabhängigkeit, Unveräußerlichkeit und Untheilbarkeit zu behalten, ohne daß solches könne verringert oder jemals einem jüngern Prinzen als Leibgeding überlassen, noch als Lehen oder Afterlehen, an wen es immer wäre oder auf welche Wiese solches geschehen könnte, übertragen werden.

II. Die freie Ausübung der protestantischen und der katholischen Religion, über die Wir Uns förmlich Unsere landesherrliche Obergewalt vorbehalten, sollen von Uns und Unsern Nachfolgern, ohne Rücksicht auf Wohnort, erhalten und geschützt bleiben; die protestantische Religion unter der Leitung und Gewalt der Classe der Pfarrer und der Consistorien. Wir bestätigen hierdurch alle von jener Classe erworbenen Rechte und insbesondere dasjenige, die Pfarrer zu ernennen, sie in ihren Verrichtungen einzustellen, zu entsetzen und abzuändern, und über Gegenstände, welche die Geistlichkeit betreffen, zu urtheilen. Die katholische Religion steht, in allem, was Ordnung und Disciplin betrifft, unter der Leitung und Gewalt des Bischofs von Lausanne.

III. Jeder Unterthan und Einwohner des Fürstenthums kann, ohne dadurch sein Bürgerrecht in demselben zu verlieren, und mit der Befugniß, jederzeit in seine Heimath zurückkehren zu können:
1) das Fürstenthum ungehindert verlassen zum Behuf von Reisen sowohl, als für auswärtige Niederlassung;
2) In Kriegsdienste einer fremden Macht treten, insofern nämlich diese mit dem Souverain in in seiner Eigenschaft als Fürst von Neuenburg nicht im Kriege sich befindet. Werbungen dürfen ohne dafür ertheilte Bewilligung des Fürsten nicht Statt finden.

IV. Wer nicht Landesunterthan und Fürstenthum ansässig ist, kann keine Civil- oder Militairstelle bekleiden. Von dieser Bestimmung ist einzig die Stelle des Gouverneurs ausgenommen. Gleichmäßig sind diejenigen von Staatsbedienungen ausgeschlossen, welche Ämter und Stellen im Dienst eines andern Fürsten oder fremden Staats bekleiden. Die Bestallungsbriefe der Staatsbeamten oder der Mitglieder von Gerichtsstellen und Notarien, mit Ausnahme der Gerichtsboten, sollen die Bestimmung enthalten, daß die Ernannten an ihren Stellen so lange bleiben werden, als sie sich wohl verhalten, so daß sie nicht dürfen entsetzt werden, außer in Folge sattsam erwiesener Verbrechen, Verwaltungsuntreue, schlechter Aufführung, oder offenbaren Unfähigkeit. Dieser Artikel soll in Bezug auf das Militair diejenigen Ausnahmen erleiden, welche durch die Verbindung mit der Schweiz erforderlich werden.

V. Die vollkommene und gänzliche Handelsfreiheit im Lande und auswärts wird den Unterthanen und Einwohnern des Fürstenthums zugesichert, soweit solche den Verpflichtungen nicht zuwider läuft, welche der Eintritt des Landes in den Bund der schweizerischen Eidsgenossenschaft mit sich führt. Wir behalten uns das Recht vor, die erforderlichen Polizeivorschriften zu ertheilen, in Hinsicht auf den Verkauf solcher Gegenstände, welche die Sicherheit des Staats gefährden könnten, und eben so in Fällen, wo das öffentliche Wohl solches erheischt, die Ausfuhr von Lebensmitteln oder Gegenständen erster Nothwendigkeit zu verbieten.

VI. Der wirkliche status quo in Hinsicht auf Verwaltung und Rechtsordnung wird in allen seinen Theilen bestätigt, und es soll derselbe anders nicht als entweder durch den Willen des Fürsten, oder durch das Gesetz, je nach Beschaffenheit der Umstände, verändert werden dürfen. Es soll insbesondere durch die Landstände für die Aufstellung eines einzigen Appellationsgerichts im Fürstenthume gesorgt werden.

VII. Die Polizeiordnungen gehen vom Fürsten aus, und sollen unmittelbar im ganzen Staat bekannt gemacht und vollzogen werden. Die Bewilligungen, kraft welcher Vorporationen oder Gemeinden die Polizei ausüben, bleiben jederzeit Unserer Oberaufsicht unterworfen.

VIII. Wir bestätigen ausdrücklich das Uns zustehende Recht, Uns so oft Wir es dienlich erachten, in den Versammlungen aller Staatscorporationen ohne Ausnahme repräsentien zu lassen.

IX. Kein Unerthan oder Einwohner des Fürstenthums darf in Verhaft gebracht werden, in Neuenburg ohne ein Urtheil der vier Menestrals, und in den übrigen Gerichtsbezirken ohne ein durch wenigstens fünf Richter der Gerichtsstelle des Orts, wo das Vergehen Statt fand, unterzeichnetes Urtheil. Wenn einer auf frischer That ergriffen, oder wegen eines sehr hohen Verdachtes angehalten wird; so darf ein solcher provisorischer Verhaft nicht länger als dreimal vier und zwanzig Stunden dauern. Nach Verfluß derselben soll der Beklagte entweder frei gelassen oder gefangen gesetzt werden, insofern das letztere durch die Gerichtsstelle beschlossen ward. Das Vermögen eines Beklagten darf unter keinerlei Vorwand, ganz oder theilweise, weder eingezogen noch sequestrirt werden, so lange derselbe nicht richterlich beurtheilt oder verfällt ist.

X. Keine Abgabe oder neue Auflage, unter welchem Namen und Titel es seyn mag, darf anders als vermöge eines Gesetzes erhoben werden. Die allgemeinen Änderungen, welche man mit den gegenwärtig schuldigen und bezahlten Abgaben vorzunehmen nöthig erachten möchte, sollen gleichfalls durch Gesetze angeordnet werden. Dieser Artikel findet keine Anwendung auf die durch Polizeimaaßnahmen angeordneten Leistungen und Abgaben.

XI. Alle Unterthanen und Einwohner des Fürstenthums Neuenburg, ohne Ausnahme, sind von ihrem achtzehnten bis in ihr fünfzigstes Jahr waffendienstpflichtig; sie können aber in wirklichen Dienst zu keinem andern Zweck gerufen werden, als für die Erhaltung der öffentlichen Ordnung, für die Landesvertheidigung und für die Erfüllung der Verträge, welche das Fürstenthum mit der Schweiz verbinden. Die Milizen stehen künftig unter Unserer alleinigen Oberaufsicht; sie sollen von nun an nur einerlei Fahne und Cocarde haben, und jede diesem zuwiderlaufende Bewilligung wird hiermit ausdrücklich von Uns aufgehoben. Wir behalten Uns vor, durch eine besondere Verordnung alles, was den Militairdienst betrifft, zu reguliren, und es sollen die Bestimmungen derselben den Verhältnissen angepaßt werden, welche unser Fürstenthum mit der schweizerischen Eidsgenossenschaft verbinden werden.

XII. Wir behalten Uns hinwieder vor, in Kraft einer mit Unserm Fürstenthum Neuenburg zu schließenden Capitulation, ein Bataillon Truppen in Sold zu nehmen, das zu Unserer Garde gehören und mit ihr gleiche Vorrechte genießen soll; es wird solches vierhundert Mann stark seyn, und unser Staatsrat von Neuenburg hat Uns die dabei anzustellenden Officiere zur Genehmigung vorzuschlagen, mit Ausnahme des Commandanten, dessen Ernennung Wir Uns selbst vorbehalten. Über die freiwillige Werbung und über die Bildung dieses Bataillons soll ein besonderer Vertrag geschlossen werden.

XIII. Das bewegliche und unbewegliche Eigenthum der Corporationen, der Unterthanen und Einwohner, darf durch keinerlei Eingriffe verletzt werden. Wenn, nach dem Befinden des Fürsten, für Gegenstände öffentlichen und allgemeinen Vortheils die Verfügung über irgend ein Eigenthum nothwendig wird; so soll deshalb mit dem Besitzer gütlich unterhandelt, und bei sich ergebenden Schwierigkeiten eine gerichtliche Schätzung des Gegenstrandes veranstaltet werden.

XIV. Um Unsern getreuen Unterthanen einen neuen Beweis Unsers Wohlwollens und Unserer Zuneigung zu ertheilen, haben Wir beschlossen, die Landstände wieder als gesetzgebende Behörde und Nationalrath herzustellen, und die Stellvertretung jedes Bezirks nach seiner Wichtigkeit und Bevölkerung festzusetzen. Die Bildung und die Attribute der Landstände sollen in einer besondern, mit Unserer Unterschrift versehenen, Verordnung erhalten seyn.

siehe hierzu auch das Organisationsedict  für die Landstände des Fürstenthums Neuenburg vom 26. Dezember 1814.

XV. Alle Gesetze, Befreiungen, Freiheiten, wohlhergebrachte Übungen, geschriebene und nicht geschriebene Urkunden und Bewilligungen, die der gegenwärtigen Erklärung nicht zuwiderlaufen, sind beibehalten und bestätigt.

    Gegeben in London, am 18. Brachmonat des Gnadenjahres eintausend achthundert und vierzehn.

Friedrich Wilhelm.

Der Fürst von Hardenberg.

Das Fürstentum Neuenburg erhielt, ganz im Gegensatz zum Stammlande Preussen von den Königen und Fürsten die eher liberale vorstehende Verfassung.

 


Quellen: K.H.L. Pölitz, Die europäischen Verfassungen seit dem Jahre 1789, Brockhaus Leipzig 1833
© 19. Mai 2005 - 7. Januar 2006
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