Organisationsedict für die Landstände des Fürstenthums Neuenburg

vom 26. Dezember 1814

aufgehoben durch
Verfassung vom 30. April 1848

Wir, Friedrich Wilhelm, von Gottes Gnaden König von Preußen, u. s. w., Fürst von Neuenburg.

Wir haben Unsern getreuen Unterthanen von Neuenburg und Valangin einen neuen Beweis Unserer königlichen Sorge für ihr Wohl gegeben, indem Wir durch den vierzehnten Artikel der Verfassungsurkunde vom achtzehnten Brachmonat letzthin die allgemeinen Landstände herstellten; durch die gegenwärtige Verordnung setzen Wir nunmehr derselben Bildung, Befugnisse und die in ihrer Versammlung zu beobachtende Ordnung fest.

1. Der Gouverneur des Fürstenthums, oder an dessen Statt der älteste Staatsrath, wird die Landstände einberufen und den Vorsitz bei denselben führen.

2. Die Landstände sollen bestehen aus den zehn ältesten Gliedern des Staatsraths, mit Ausnahme jedoch Unsers Canzlers, Unsers Generalprocurators und Unsers Staatssecretairs, um der besondern diesen aufzutragenden Verrichtungen willen; aus vierzehn Notabeln, welche nicht Staatsräthe sind; vier derselben sollen Diener des göttlichen Wortes seyn, und sie werden sämmtlich von Uns ernannt; aus den Präsidenten der Gerichtsbezirke, deren Zahl nicht über vier und zwanzig ansteigen darf; und aus dreißig durch die verschiedenen Bezirke Unsers Fürstenthums ernannten Gliedern.

In Fällen von Abwesenheit oder Krankheit vor Eröffnung der Sitzungen, werden die Staatsräthe für diese letztern durch die ihnen im Range folgenden, die Geistlichen und Notabeln durch Ernennungen des Staatsraths, die Gerichtspräsidenten durch ihr Statthalter, nach der im folgenden Artikel festgesetzten Ordnung, und die Deputirten der Bezirke durch Suppleanten, wie im vierten Artikel verordnet ist, ersetzt.

Die Gerichtsstatthalter, im Fall sie durch einen Bezirk als dessen Deputirte ernannt sind, behalten ihre Stellen, und können die Gerichtspräsidenten nicht ersetzten.

3. Die Gerichtspräsidenten sitzen in nachfolgender Reihenfolge: Neuenburg, Valangin, Landeron, Boudry, Val-de-Travers, Thielle, Locle, Chaux-de-Fonds, Lacote, Rochefort, Colombier, Sagne, Bevaix, Cortaillod, Verrieres, Lignieres, Bregine, Brenets, Travers, Gorgier, Vauxmarcus.

4. Die dreißig Abgeordneten der Bezirke, deren Vertheilung und Rang in dem der gegenwärtigen Verordnung angehängten Verzeichniß festgesetzt sind, werden folgendermaßen ernannt: Wenn ein Bezirk durch den Staatsrath aufgefordert wird, zur Ernennung eines oder mehrerer Abgeordneten an die Landstände zu schreiten; so versammeln sich alle in dem Bezirk wohnhaften Staatsunterthanen, welche das zwei und zwanzigste Jahr erreicht haben, die weder Falliten, noch durch ein Criminalurtheil betroffen sind, und aus Armengütern nicht unterstützt werden, um durch Stimmenmehrheit und gemäß der in dem angehängten Verzeichniß bestimmten Zahl, die Personen zu bezeichnen, welche sie zum Beisitz in den Landständen für die tüchtigsten halten. Noch am gleichen Tage wo möglich, oder spätestens am darauf folgenden, versammeln sich alle durch die Bezirke bezeichneten Personen in dem Hauptorte, den das Verzeichniß festsetzt, und nachdem sie allda in die Hand des Castellans oder Meiers den Eid geleistet, ihre Stimmen gewissenhaft denjenigen geben zu wollen, von denen sie dafür halten, daß dieselben dem König und dem Staat durch ihre Rathschläge die bestehen Dienste leisten können, schreiten sie unter dem Vorsitz des Gerichtspräsidenten zur Verminderung ihrer Anzahl auf die doppelte der zu wählenden Deputirten. Der Gerichtsschreiber wird einen Verbalprozeß über diese Wahlhandlung aufsetzen, um solcen also gleich den Mitgliedern des oder der Gerichtsstellen, die nach Angabe des Verzeichnisses besammelt sind, vorzulegen. Die Gerichtsbeisitzer wählen nun aus den Vorgeschlagenen die Deputirten an die Landstände, und jene, welche die mindern Stimmen hatten, sind die Suppleanten der Deputirten. Stirbt ein Deputirter; so geht für seinen Suppleant, oder für den letzten der Suppleanten, diese Eigenschaft verloren. Um von einer Gemeinde zum Candidaten für die Landstände gewählt zu werden, muß man das fünf und zwanzigste Jahr zurückgelegt haben, geborner Staatsunterthan, im Bezirke seßhaft seyn, und ein schuldenfreies Grundeigenthum von wenigstens eintausend Livres tourn. besitzen. Von der Wahl sind hinwieder auch ausgeschlossen alle, die nicht ihres eigenen Rechtens sind, oder die gegenwärtig Armenunterstützung empfangen. Die Gerichtsbeisitzer, welche von den Gemeinde auf die Vorschlagsliste gebracht wurden, können sowohl in den Versammlungen der Candidaten, als in denen der Gerichtsbeisitzer ihre Stimmen abgeben. Die vier Deputirten sowohl, als die vier Suppleanten der Stadt Neuenburg, werden durch die vier Menestrals, groß und kleine Räthe dieser Stadt unter dem Vorsitz Unsers Meiers ernannt.

5. Ein Doppel des Verbalprocesses jeder zu Ende gebrachten Wahl soll Unserm Generalprocurator übersandt werden, welcher gemeinsam mit Unserm Canzler und mit dem Secretair Unsers Staatsrathes prüfen wird, ob alles in der erforderlichen Ordnung vor sich ging. Im Falle, wo etwas Fehlerhaftes bei den Wahlen zum Vorschein kommt, oder wo Einwendungen gegen ihre Gültigkeit gemacht werden, soll Unser Generalprocurator den Ständen davon Kenntniß geben, die das Erforderliche deshalb beschließen, und in der Zwischenzeit bleiben die bestrittenen Stellen erledigt.

6. Die Stellen bei den Landständen sind lebenslänglich, für die von Uns ernannten Notabeln sowohl, als für die Abgeordneten der Bezirke; die Staatsräthe und übrigen Staatsdiener behalten solche, so lange sie ihre Staatsämter bekleiden.

7. Weil die Achtung für gute Sitten die sicherste Grundlage der Wohlfahrt der Staaten ist; so soll, im Fall wider Erwarten ein Mitglied der Landstände durch unsittlichen Lebenswandel öffentliches Ärgerniß veranlassen würde, auf dei durch fünf Mitglieder der Landstände deshalb geschehene schriftliche und geheime Angabe, durch Unsern Generalprocurator gemeinsam mit Unserm Canzler und dem Secretair Unsers Staatsrathes untersucht werden, ob Grund vorhanden sey oder nicht, um den Fall den Landständen vorzutragen, durch welche die Entsetzung ausgesprochen wird, was jedoch anders nicht als durch zwei Drittheile der Stimmen geschehen darf.

8. Der Gouverneur des Fürstenthums wird die Landstände so oft versammeln, als er es für dienlich erachtet; jedoch dürfen mehr nicht als zwei Jahren zwischen dem Schluß einer Sitzung und der Eröffnung der folgenden verfließen; der Gouverneur erklärt hinwieder den Schluß jeder Sitzung, Der Ort und Tag der Versammlung werden durch eine Kundmachung bestimmt, und die Mitglieder der Landstände erhalten besondere Einberufungsschreiben.

9. Die Mitglieder der Landstände sollen vor Eröffnung der Sitzungen in die Hand Unsers Gouverneurs den Eid leisten, ihre Stimmen gewissenhaft zum Besten des Staats zu ertheilen, ohne ihre Meinung durch das Interesse irgend einer Corporation oder Individuums leiten zu lassen; keiner Versammlung oder Verbindung beizuwohnen, worin, unter welchem Namen oder Titel solches geschehen möchte, Eingriffe in Unsere und Unserer Thronfolger Rechte auf das Fürstenthum, oder auch in die von Uns ertheilte Verfassungsurkunde geschehen könnten oder wollten; aus allen ihren Kräften und so viel von ihnen abhangen kann, die Ehre und den Wohlstand der schweizerischen Eidsgenossenschaft zu befördern; und endlich weder für sich selbst noch für die Ihrigen von fremden Fürsten oder Herren irgend eine Pension anzunehmen.

10. Unser Gouverneur wird jede Sitzung durch eine Rede eröffnen, welche in der Canzlei der Landstände aufbewahrt bleibt. Hierauf soll Unser Generalprocurator im Namen Unsers Gouverneurs die Gegenstände vortragen, welche in Berathung fallen sollen;  er wird mündlich die Gründe der gethanen Vorschläge entwickeln, und alle Aufschlüsse ertheilen, welche erforderlich seyn möchten. Insofern der Gouverneuer den Berathungen nicht selbst beizuwohnen für dienlich erachtet; so werden die Stimmen durch den Canzler gesammelt. Die Beschlüsse werden durch den Secretair unsers Staatsrathes, unter der Controlle des Canzlers, zu Papier gebracht, es wäre denn, daß eine durch die Landstände selbst ernannte Commission dazu den Auftrag erhielte. Die Verhandlungen, Beschlüsse und Vorstellungen der Landstände werden durch sechs von der Versammlung dafür bezeichnete Deputirte und hinwieder durch den Canzler und Secretair des Staatsrathes unterzeichnet.

11. Kein Gesetz darf ohne die Zustimmung der Landstände erlassen, abgeändert oder aufgehoben werden. Sie bestimmen hinwieder alles, was die Auflagen betrifft. Ihre Entscheidung über diese wichtigen Gegenstände erfolgt nicht eher, als wenigstens sechs Monate, nachdem solche ihnen sind vorgelegt worden. Sie sollen über die Handhabung der Verfassung und der Urkunde vom 18. Juni 1814 wachen, und am Schlusse jeder Sitzung werden sie im Namen des Fürsten aufgefordert, dasjenige zu eröffnen, wovon sie glauben, daß es zu Beförderung des gemeinen Besten und zum Wohl des Staates beitragen könne. Was die Ausgaben betrifft, welche aus den von dem Staate gegen die schweizerische Eidsgenossenschaft eingegangenen Verpflichtungen herrühren, so wie solche, welche unvorhergesehene Fälle von Krieg und dergleichen betreffen; so werden die Landstände dafür ohne Verschub lediglich die Art, wie sie gedeckt werden sollen, zu bestimmen haben. Kein Beschluß darf in Vollziehung gesetzt werden, ehe er Unsere Sanction erhalten hat und durch Uns kund gemacht seyn wird.

12. Unser Staatsrath wird die Polizeiordnungen und hinwieder das Ceremoniel der Landstände festsetzen. Unserm Generalprocurator insbesondere liegt ob, darüber zu wachen, daß geziemende Ordnung und Anstand in den Berathungen herrschen, und er wird, ohne Ungebundenheit zu dulden, Sorge tragen, daß die Freiheit der Meinungen vollkommen gesichert und geachtet bleibe.

    Wir beauftragen anmit Unsern Gouverneur und Unsere lieben und getreuen Mitglieder Unsers Staatsraths von Neuenburg, die gegenwärtige Erklärung einregistriren zu lassen, und darauf Hand zu halten, daß sie in allen Beziehungen möge vollzogen werden, denn dies ist Unser Wille. Zu dessen Bekräftigung haben Wir solche eigenhändig unterzeichnet, sie durch Unsern Staatskanzler, den Fürsten von Hardenberg, contrasigniren, und Unser Staatssiegel derselben beidrucken lassen.

    Gegeben zu Wien am 26. Christmonat des Gnadenjahrs 1814, und Unserer Regierung im achtzehnten.

Friedrich Wilhelm.

Der Fürst von Hardenberg

 


Quellen: K.H.L. Pölitz, Die europäischen Verfassungen seit dem Jahre 1789, Brockhaus Leipzig 1833
© 19. Mai 2005 - 20. Mai 2005
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