Verfassung für die Republik Bern

vom 6. Juli 1831

geändert durch
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aufgehoben durch
Verfassung vom 31. Juli 1846

 

Titel I
Allgemeine Bestimmungen.

1. Die Republik Bern ist ein freier Staat, mit repräsentativer Verfassung, und bildet einen Canton der schweizerischen Eidsgenossenschaft.

2. Ihr Gebiet ist in sieben und zwanzig Amtsbezirke eingetheilt.

Die allfällige Ausgleichung und Abänderung derselben bleibt jedoch dem Gesetze erlassen.

Die Einrichtung einzelner Zweige der Staatsverwaltung kann sich über mehrere dieser Amtsbezirke zugleich, oder über Theile von Amtsbezirken erstrecken.

3. Die Souverainität beruht auf der Gesammtheit des Volkes. Sie wird einzig durch den großen Rath, als Stellvertreter des Volkes, verfassungsmäßig ausgeübt.

Der große Rath überträgt dem Regierungsrathe, kraft der Verfassung, die nöthige Gewalt zu Handhabung und Vollziehung der Gesetze, und den Gerichtsstellen die Gewalt zu Beurtheilung der Streitsachen und Straffälle.

Als der höchsten Staatsgewalt, bleibt jedoch dem großen Rathe die Oberaufsicht sowohl über die vollziehenden, als über die gerichtlichen Behörden, und das Begnadigungsrecht.

4. Das Recht der Gesetzgebung wird durch den großen Rath einzig ausgeübt.

Die Ausübung der vollziehenden und der richterlichen Gewalt soll in allen Stufen der Staatsverwaltung getrennt bleiben.

5. Jedes Mitglied des großen Rathes und jeder Staatsbeamte soll bei dem Antritte seiner Stelle auf die Staatsverfassung und auf die Erfüllung seiner Amtspflichten beeidigt werden.

6. Kein Staatsbürger der Republik Bern, der in einem andern Staate politische Rechte ausübt, kann diese Rechte zugleich in der Republik Bern ausüben.

7. Alle Staatsbürger der Republik sind gleich vor dem Gesetze.

8. Alle Staatsbürger der Republik haben gleiche politische Rechte, insofern sie die durch die Verfassung selbst bestimmten Eigenschaften besitzen.

9. Der Staat anerkennt keine Vorrechte des Orts, der Geburt, der Personen und der Familien.

Kein Staatsbürger soll sich im Gebiete der Republik eines fremden Adelstitel bedienen.

10. Kein Glied des großen Rathes, und kein Beamter des Staates, darf von einer fremden Macht eine Pension, einen Titel, oder einen Orden annehmen.

11. Die Glaubensfreiheit ist zugesichert.

Die Rechte der bestehenden evangelisch-reformirten Landeskirche, so wie die der römisch-katholischen Kirche, in den sich zu ihnen bekennenden Gemeinden, werden gewährleistet.

Die Einrichtung der Capitelsversammlungen und einer Generalsynode soll der reformirten Geistlichkeit das Recht zu Anträgen und zu der freien Vorberathung in Kirchensachen zusichern. Die Zusammensetzung der Generalsynode soll auf dem Grundsatze der freien Stellvertretung beruhen.

12. Die Befugniß zu lehren ist unter gesetzlichen Beschränkungen freigestellt.

Niemand darf die seiner Obhut anvertraute Jugend ohne den Grad von Unterricht lassen, der für die untern Schulen vorgeschrieben ist.

Die Sorge für Erziehung und Unterricht der Jugend ist die Pflicht des Volkes uns seiner Stellvertreter.

Der Staat soll die öffentlichen Schul- und Bildungsanstalten unterstützen und befördern.

13. Die Preßfreiheit ist gewährleistet, und zwar so, daß niemals die Censur, noch irgend eine vorgreifende Maßnahme Statt finden kann.

Das Gesetz wird die Strafen des Mißbrauchs der Presse bestimmen.

14. Die persönliche Freiheit ist gewährleistet. Niemand darf verhaftet werden, außer in den Fällen, die das Gesetz bestimmt, und nur unter Beobachtung der vorgeschriebenen Formen und Bedingungen.

Niemand darf seinem ordentlichen Richter entzogen werden.

15. Es sollen weder bei der Verhaftung, oder bei der Enthaltung einer Person unnöthige Strenge, noch zu Erpressung eines Geständnisses irgend ein körperliches Zwangsmittel angewendet werden.

Jeder Angeklagte ist als schuldlos zu betrachten, solange kein Urtheil die Schuld ausgesprochen hat.

16. Die Freiheit der Niederlassung, des Landbaues, des Handels und der Gewerbe wird ausdrücklich anerkannt, unter Vorbehalt gesetzlicher Bedingungen, welche das allgemeine Wohl und erworbene Rechte erfordern.

17. Jede Person, jede Gemeinde, oder vom Staat anerkannte Corporation, so wie jede Behörde, hat das Recht, über jeden Gegenstand ihrer Ansichten, Wünsche oder Beschwerden, mittelbar oder unmittelbar, vor eine jede Staatsbehörde zu bringen.

Das Gesetz wird die Form bestimmen.

18. Alles Eigenthum ist unverletzlich.

Wenn das gemeine Wohl die Aufopferung eines Gegenstandes desselben erfordert; so geschieht es bloß unter dem Vorbehalt vollständiger Entschädigung. Die Frage über die Rechtmäßigkeit der Entschädigungsforderung und die Ausmittelung des Betrags der Entschädigung werden durch den Civilrichter entschieden.

19. Jede bürgerliche Stelle soll entweder auf eine bestimmte Amtsdauer ertheilt werden, oder auf periodische Bestätigung hin.

20. Jede Behörde, jeder Beamte und Angestellte ist für seine Amtsverrichtungen verantwortlich.

Das Gesetz wird diese Verantwortlichkeit bestimmen.

Kein Beamter und Angestellter kann seiner Stelle entsetzt werden, als durch ein Urtheil des competenten Richters.

Keiner kann abberufen oder eingestellt werden, als durch einen motivirten Beschluß der competenten Behörde.

21. Das Gesetz wird die Fälle bestimmen, in welchen mehrere Stellen nicht von der gleichen Person bekleidet werden können.

22. Persönliche Leistungen und dingliche Lasten, welche gesetzlich abgeschafft oder losgekauft sind, bleiben aufgehoben.

Die Verfassung gewährleistet die Befugniß, die noch bestehenden Zehnten und Grundzinse loszukaufen.

Das Gesetz soll den Loskauf, die Art der Entrichtung der Grundzinse, so wie die Umwandlung der Zehnten in fixe Leistungen in Geld oder Naturalien möglichst, das heißt, so weit es ohne wesentliche Verminderung der reinen Staatseinkünfte geschehen kann, erleichtern.

Kein Grundstück soll künftig, weder durch Vertrag, noch durch letzte Willensverordnung, einem Zins oder einer Rente unterworfen werden, die nicht loskäuflich seyen.

23. Wenn zum Behuf der Staatsausgaben die gesetzlich bestehenden Einkünfte nicht hinreichen; so sollen die nöthigen Auflagen möglichst gleichmäßig auf alles Vermögen, Einkommen oder Erwerb belegt werden.

24. Das gegenwärtig vorhandene Capitalvermögen des Staates, dessen Betrag der große Rath bestimmen wird, soll nicht angegriffen werden, als auf einen Beschluß des großen Rathes mit zwei Drittel Stimmen der Gesammtzahl der Glieder desselben.

Der Antrag und die Summe müssen bei Einberufung des großen Rathes angezeigt worden seyn.

25. Der Staat soll die Oberaufsicht über das Armenwesen und die Leitung desselben führen, und den Gemeinden durch Rath und That in der Verpflegung der Armen beistehen.

26. Der Staat trägt Sorge für den Unterhalt der Landstraßen und für das Straßenwesen überhaupt. Das Gesetz wird die daherigen Leistungen des Staates und der betreffenden Gemeinden in billigem Verhältnisse näher bestimmen.

27. Jeder im Gebiete der Republik Bern angesessene Schweizerbürger ist, nach den gesetzlichen Bestimmungen, zum vaterländischen Militairdienste verpflichtet.

28. Es soll in Zukunft keine Militaircapitulation mit einem fremden Staate geschlossen werden.

29. Die französische Sprache ist, gleich der teutschen, die Volkssprache des Cantons Bern. Die teusche Sprache macht in öffentlichen Acten und Urkunden die Ursprache aus.

In der Canzlei wird eine eigene Section zu Übersetzung der teutschen Verhandlungen und aller öffentlichen Bekanntmachungen ins Französische niedergesetzt werden.

Alle Gesetze, Verordnungen und allgemeinen Beschlüsse, und alle richterlichen Urtheile, welche Theile des Cantons betreffen, in denen die französische Sprache vorherrschend ist, sollen in beiden Sprachen bekannt gemacht werden.

Titel 2
Stimmrecht, Wählbarkeit und Wahlen.

30. Jedes Glied einer Gemeindscorporation im Gebiete der Republik Bern ist Staatsbürger.

31. Um in einer Urversammlung der Republik Bern das Stimmrecht ausüben zu können, muß man:
1) Staatsbürger der Republik Bern,
2) im Gebiete derselben wohnhaft,
3) nach den Bestimmungen des Gesetzes ehrenfähig seyn, und
4) das drei und zwanzigste Altersjahr zurückgelegt haben.

Unter diesen Bedingungen und den im zwei und dreißigsten Artikel ausgedrückten Beschränkungen kann jeder Staatsbürger in den Urversammlungen seiner Bürgergemeinde stimmen.

Wer in einer Urversammlung außer seiner Bürgergemeinde stimmen will, muß überdies:
5) seit wenigstens zwei Jahren in der betreffenden Gemeinde wohnhaft seyn, und
6) den Besitz eines Grundeigenthums oder eines auf Grundeigenthum versicherten Capitals von mindestens fünfhundert Schweizerfrankenbescheinigen;
    oder aber einen Pacht oder einen Miethvertrag, kraft welches er einen Jahrzins von wenigstens zweihundert Schweizerfranken bezahlt;
    oder endlich ein obrigkeitlicher Beamter, Offizier im vaterländischen Dienste, oder ein Gemeindsvorgesetzter seyn, oder einen wissenschaftlichen Beruf, kraft erhaltenen Patentes, ausüben.

32. Von dem Stimmrechte überhaupt sind ausgeschlossen:
1) Alle diejenigen, welche die in dem ein und dreißigsten Aetikel geforderten Eigenschaften nicht besitzen, oder sich in dem durch den sechsten Artikel bestimmten Ausnahmsfalle befinden;
2) die Wahnsinnigen und Blödsinnigen;
3) diejenigen, welche der Ehrenfähigkeit eingestellt sind;
4) diejenigen, welche seit dem zurückgelegten achtzehnten Altersjahre für sich selbst, für ihre Weiber oder für Kinder, deren Unterhaltung ihnen obliegt, eine Armensteuer beziehen oder bezogen, und nicht zurückerstattet haben.

33. Das Gesetz wird die Zulässigkeit der Bürger anderer eidgenössischer Cantone zur Ausübung des Stimmrechts in den Urversammlungen nach dem Gegenrechte bestimmen, insofern diese eidsgenössischen Bürger die für die Staatsbürger der Republik Bern vorgeschriebenen Eigenschaften besitzen.

34. Um zum Wahlmanne gewählt werden zu können, muß man:
1) alle Bedingungen der Stimmfähigkeit aufweisen;
2) im Bezirke der Urversammlung angesessen seyn, in dem die Wahl Statt hat, und in das Verzeichnis der stimmfähigen Staatsbürger eingeschrieben seyn.

35. Um in den großen Rath gewählt werden zu können, muß man:
1) das Stimmrecht in einer Urversammlung ausüben dürfen;
2) das neun und zwanzigste Altersjahr zurückgelegt haben;
3) Grundeigenthum oder ein auf Grundeigenthum versichertes Capital von wenigstens fünftausend Schweizerfranken besitzen.
    Von dieser Bescheinigung eines Vermögens sind jedoch enthoben: die vom Staate angestellten Professoren, und diejenigen, welche für die erste Classe eines wissenschaftlichen Faches patentirt sind.
4) Mit einer Stelle in dem großen Rathe sind nicht vereinbar:
    a. Geistliche Stellen und geistliche Amtsverrichtungen;
    b. Civilstellen und Militairstellen in fremden Diensten.

36. Die Bedingungen des Stimmrechts und der Wählbarkeit zu den Gemeindsbeamtungen wird das Gesetz aufstellen.

Urversammlungen.

37. Jede Gemeinde bildet eine Urversammlung. Die Kirchgemeinden, welche mehr als zweitausend Seelen enthalten, können durch das Gesetz, der Örtlichkeit nach, in mehrere Urversammlungen abgetheilt werden.

38. Jede Urversammlung ernennt durch geheimes Stimmenmehr je einhundert Seelen Bevölkerung einen Wahlmann. Die Bruchzahl über fünfzig zählt jeweilen für Einhundert.

Eine Urversammlung von weniger als einhundert Seelen Bevölkerung ernennt einen Wahlmann.

Wahlversammlungen.

39. Die von den Urversammlungen eines jeden diesmaligen Amtsgerichtsbezirks, so wie die von den Urversammlungen des Stadtbezirks Bern ernannten Wahlmänner bilden je eine Wahlversammlung.

40. Jede dieser Wahlversammlungen erwählt die ihr nach dem Verhältnisse der Bevölkerung zukommende Zahl von Gliedern in den großen Rath, und ersetzt nachher die Austretenden, welche sie erwählt hatte.

41. Die Wahlen der Glieder des großen Raths durch die Wahlversammlungen sollen, für jede Stelle einzeln, durch geheime Abstimmung und die absolute Stimmenmehrheit geschehen. Sie können frei auf jeden Staatsbürger fallen, der, nach den Bestimmungen des Artikels fünf und dreißig der Verfassung, wahlfähig ist.

42. Die Wahlversammlungen sind aufgelöset, sobald sie die ihnen auffallenden Wahlen und die allfällige Ergänzung derselben vollendet haben, wenn die eine oder die andere durch mehrfache Wahlen der gleichen Person, durch Ablehnung, wegen ihrer Ungültigkeit oder sonst, dahin gefallen seyn sollte.

Für nachfolgende Wahlen muß durch die Urversammlungen eine neue Wahlversammlung erwählt werden.

Titel 3
Staatsbehörden.

Abschnitt 1
Großer Rath.

43. Der große Rath besteht aus zweihundert und vierzig Gliedern.

Zweihundert derselben werden durch die Wahlversammlungen, nach der Vorschrift der Artikel vierzig und ein und vierzig, frei aus allen, nach den Bestimmungen des Artikels fünf und dreißig wahlfähigen,  Bürgern ernannt.

Diese zweihundert erwählen und ergänzen, in vorkommenden Fällen, die übrigen vierzig Glieder, ebenfalls aus allen wählbaren Staatsbürgern.

Wenn aber die Einwohnerschaft der Stadt Bern bereits den Drittel der Gesammtheit der Glieder im großen Rathe zählt; so darf bei der ersten Wahl dieser vierzig Mitglieder und bei den nachfolgenden Ergänzungen der periodischen Austritte derselben, nicht mehr als eine Wahl auf einen Staatsbürger fallen, der in Bern ansässig ist, oder ein Jahr vor der Wahl in Bern ansässig war.

Die Wahl dieser vierzig Mitglieder und ihre Ergänzungen geschieht durch das geheime, absolute Stimmenmehr. Sie wird für jedes Glied besonders vorgenommen.

Der Wahltag für die Wahl und Ergänzung dieser vierzig Glieder soll den, durch die Wahlversammlungen ernannten, Gliedern des großen Rathes wenigstens vierzehn Tage vor der Wahlhandlung angezeigt, und dieselben bei Eiden zur Beiwohnung aufgefordert werden.

44. Nach sechs Jahren Amtsdauer tritt ein jedes Glied des großen Rathes aus.

Mit dem Austritte aus dem großen Rathe sind auch die stellen erledigt, die das austretende Mitglied bekleidete, insofern sie durch ein Glied des großen Rathes bekleidet werden müssen.

Die Glieder des großen Rathes werden in drei Classen eingetheilt, von welchen je eine alle zwei Jahre am ein und dreißigsten December austritt und durch die vorher geschehenen Wahlen ersetzt wird.

Wenn ein Glied des großen Rathes vor der Vollendung seiner Amtsdauer ersetzt werden muß; so kommt das an seiner Stelle ernannte in die Classe des ausgetretenen, und muß dann späterhin auch mit dieser Classe austreten.

Jedes austretende Glied des großen Rathes ist sogleich wieder wählbar.

45. Die Mitglieder des großen Rathes sind Stellvertreter der Gesammtheit des Volkes und nicht der Wahlbezirke, durch welche sie gewählt worden. Sie sollen also nach ihrer Überzeugung für das Wohl des Ganzen stimmen und dürfen keine Instruction annehmen.

46. Die Mitglieder des großen Rathes beziehen keine Besoldung.

Diejenigen Glieder, die wegen außerordentlicher Dauer der Sitzungen mehr als eine Woche im Winter und eine Woche im Sommer in der Hauptstadt zubringen, beziehen für die mehrere Zeit eine, auf den Tag berechnete Entschädigung, die das Gesetz bestimmen wird.

Diese Glieder haben auch Anspruch auf eine, durch das Gesetz zu bestimmende, Entschädigung für die nothwendigen Reisen zum Besuche der Sitzungen.

47. Ein Landamman, als erster Staatsbeamter, präsidirt den großen Rath.

Er wird durch das geheime und absolute Stimmenmehr von dem großen Rathe aus seiner Mitte, jedoch mit Ausschluß der Glieder des Regierungsrathes gewählt.

Der Landamman tritt sein Amt auf den ersten Januar an. Nach Ablauf eines Jahres bezieht er die Stelle im großen Rathe wieder, aus der er zum Landamman erwählt wurde, und ist für das nächstfolgende Jahr nicht wieder wählbar.

Auf die gleiche Weise und unter den gleichen Bedingungen erwählt der große Rath einen Vicepräsidenten.

48. Der Staatsschreiber oder in seiner Anwesenheit je der erste Canzleibeamte im Range, besorgt die Canzleigeschäfte für den großen Rath.

Der Staatsschreiber wird vom großen Rathe, durch das geheime, absolute Stimmenmehr, frei aus allen Staatsbürgern der Republik erwählt. Die Dauer seines Amtes ist sechs Jahre; nach Auslauf derselben ist er aber sogleich wieder wählbar.

Der Staatsschreiber hat das Stimmrecht im großen Rathe nur dann, wenn er Mitglied desselben ist.

49. Der große Rath kann nur diejenigen Amtsverrichtungen einer andern Behörde oder Beamtung übertragen, deren Übertragung bereits durch die Staatsverfassung geschieht, oder die er nicht kraft der  Staatsverfassung selbst ausüben muß.

50. Als unübertragbar muß der große Rath die nachfolgenden Gegenstände selbst behandeln und entscheiden:
1) Die Erlassung, Erläuterung, Abänderung und Aufhebung von Gesetzen und allgemeinen, bleibenden Verordnungen.
2) Jede gänzliche Erlassung und jede gänzliche Umwandlung einer, durch ein peinliches Urtheil ausgesprochenen, Strafe.
3) Dispensation von gesetzlichen Ehehindernissen.
4) Die Errichtung einer neuen, bleibenden und besoldeten Stelle, so wie die Bestimmung ihrer Besoldung.
5) Die Entscheidung über streitige oder formwidrige Wahlen der Wahlversammlungen und des Regierungsrathes.
6) Die Beurtheilung von Competenzstreitigkeiten zwischen Vollziehungsbehörden und Gerichtsstellen.
7) Die Bestimmungen des jährlichen Voranschlags (Budget) über das muthmaßliche Einnehmen und Ausgeben des Staates.
8) Die Untersuchung und Genehmigung der Staatsrechnung.
9) Die Ausschreibung von Steuern und Abgaben.
10) Dei Anleihen des Staates, welche nicht, als bloße Vorschüsse, durch Abrechnung im gleichen Jahre getilgt werden.
11) Die Anwendung von Geldern im Auslande, welche die Summe von zehntausend Schweizerfranken übersteigen, und diejenigen im Inlande unter dem Zinsfuße von vier von Einhundert.
12) Die Bestätigung aller Verträge für Salzlieferungen und über den Pacht der Posten.
13) Die Bestätigung aller Verträge, durch welche ein Grundeigenthum des Staates, ein Zehnten oder ein Grundzins erworben oder veräußert wird; wenn im ersten Falle der Erwerbungspreis zehntausend Schweizerfranken übersteigt, und im letztern der Werth des Veräußerten mehr als viertausend Schweizerfranken beträgt.
14) Der Entscheid über alle Gegenstände, welche eine, nicht bereits im Allgemeinen beschlossene, Ausgabe von mehr als sechstausend Schweizerfranken verursachen.
15) Die Ertheilung aller außerordentlichen Gratificationen, welche eintausend Schweizerfranken übersteigen.
16) Der Enscheid über Angreifung des Capitalvermögens des Staates, in Folge des Artikels vierundzwanzig der Verfassung.
17) Alle Vorschriften über Schrot, Korn und Werthung der inländischen Geldsorten, und über das Verhältniß der ausländischen zu den inländischen Sorten.
18) Die allgemeine Kriegsverfassung des Cantons. Die Verordnungen über die Verpflichtung zum Militairdienste, über die Organisation, Competenz und Prozeßform der Kriegsgerichte.
19) Die Aufstellung und Entlassung eines stehenden Truppencorps.
20) Die erste Ernennung der Abgeordneten auf eine eidgenössische Tagsatzung und die erste Instruction derselben, so wie die Abnahme und Beurtheilung ihres Berichts.
21) Die Ertheilung der Standesstimme für Kriegserklärungen und Friedensschlüsse.
22) Die Abschließung oder Genehmigung aller Verträge mit anderen Ständen, insofern sie nach dem Bundesvertrage den einzelnen Cantonen zustehen, so wie die Ratification der Beschlüsse der eidgenössischen Tagsatzung.
23) Alle Wahlen für eine Stelle, deren Wirkungskreis sich über das ganze Gebiet der Republik erstreckt, oder die aus dem Mittel des großen Rathes selbst getroffen werden müssen, oder die endlich dem großen Rathe durch die Staatsverfassung oder durch besondere Gesetze übertragen sind.
24) Die Ernennung des Commandanten eines im Cantonaldienste aufgestellten Truppencorps und aller Officies, welche einen höhern Rang als denjenigen eines Hauptmanns haben.
25) Die oberste Aufsicht über die Verwaltung und die Gerechtigkeitspflege.

51. Der Regierungsrath soll dem Landammanne, so oft es dieser verlangt, von allen seinen Verhandlungen Kenntniß geben.

52. Jedes Glied des großen Rathes hat das Recht, schriftlich den Antrag zur Berathung eines Gegenstandes zu machen; das gleiche Recht hat auch ein jedes Departement des Regierungsrathes in Bezug auf Gegenstände seines Amtskreises und der Regierungsrath in Bezug auf alle Gegenstände ohne Ausnahme.

Die Anträge eines einzelnen Gliedes müssen, nach der Anerkennung ihrer Erheblichkeit, zur Vorberathung an den Regierungsrath gewiesen werden, bevor über dieselben entschieden werden kann.

Die Anträge eines Departements müssen durch den Regierungsrath vorberathen und mit dem Gutachten desselben dem großen Rathe zum Entscheide vorgetragen werden.

53. Der große RAth kann alle an ihn gelangende Anträge genehmigen, abändern oder verwerfen.

54. Jeder Entwurf eines Gesetzbuches soll vor der endlichen Berathung durch den großen Rath gedruckt und bekannt gemacht werden, damit der Gesetzgeber die Ansichten des Landes darüber vernehmen und berücksichtigen möge, zu welchem ende das Gesetz eine hinreichende Frist bestimmen wird.

55. Der große Rath sorgt für die allgemeine Bekanntmachung seiner Verhandlungen, des jährlichen Voranschlags der Einnahmen und Ausgaben des Staates, der Hauptergebnisse der Staatsrechnung und einer jährlichen Übersicht über die ganze Staatsverwaltung.

56. Die Sitzungen des großen Rathes sind in der Regel öffentlich. Das Reglement wird die Ausführung dieses Grundsatzes bestimmen.

57. Der große Rath versammelt sich zu Beseitigung der von denselben gehörenden Geschäfte jährlich zweimal zu ordentlichen Sitzungen.

Außerordentlich soll er durch den Landamman zusammenberufen werden:
1) wenn der Landamman selbst es nöthig findet;
2) wenn es von Seite des Regierungsrathes verlangt wird, und
3) wenn zwanzig Glieder des Großen Rathes die Zusammenberufung dieser höchsten Behörde durch einen schriftlichen, motivirten Antrag begehren.

Abschnitt 2
Vollziehungsgewalt.

58. Ein Regierungsrath, durch die geheime, absolute Stimmenmehrheit von dem großen Rathe aus seiner Mitte erwählt, bildet die oberste Vollziehungsbehörde.

59. Der Regierungsrath besteht aus dem Schultheißen, asl Präsidenten, und sechzehn Gliedern, welche, so wie der Schultheiß, durch diese Ernennung ihre Eigenschaft und Rechte als Mitglieder des großen Rathes nicht verlieren, aber auch in den Sitzungen desselben kein Vorrecht und keinen Vorrang vor den übrigen Mitgliedern haben.

Ihre Amtsdauer ist auf die Zeit beschränkt, während welcher sie Mitglieder des großen Rathes sind.

Wenn sie wieder in den großen Rath erwählt werden; so sind sie sogleich auch wieder wählbar in den Regierungsrath.

60. Der Regierungsrath besorgt alle Theile der Staatsverwaltung, so wie überhaupt die Führung der Regierungsgeschäfte, und legt dem großen Rathe alljährlich, oder so oft es dieser fordert, darüber Rechenschaft ab.

Er wacht über alle höhere Interessen des Staates, und trifft zu Handhabung der gesetzlichen Ordnung die nöthig erachteten Vorkehrungen, In Fällen von dringender, plötzlicher Gefahr kann er die vorläufigen militairischen Sicherheitsmaßregeln anwenden. Er soll aber alsogleich dem großen Rathe davon Kenntniß geben, und seinen Entscheid über die weitern, den Umständen angemessenen Vorkehrungen abwarten.

61. Der Schultheiß kann nicht zugleich Landamman der Republik seyn.

Er wird von dem großen Rathe, aus der Mitte des Regierungsrathes, durch das geheime absolute Stimmenmehr je auf ein Jahr erwählt. Für das nächstfolgende Jahr ist er nicht wieder wählbar.

Die Amtszeit des Schultheißen fängt je den 1. Januar an.

62. Als Stellvertreter des Schultheißen erwählt der große Rath, ebenfalls durch die geheime, absolute Stimmenmehrheit und unter den nämlichen Bedingungen, einen Vicepräsidenten.

63. Im Regierungsrath dürfen nicht zu gleicher Zeit sitzen:
1) Vater und Sohn;
2) Schwiegervater und Tochtermann;
3) Brüder und Halbbrüder;
4) Schwäger;
5) Oheim und Neffe im Geblüt.

Trennung der Ehe hebt den Ausschluß der Schwägerschaft nicht auf.

64. Das Gesetz wird den Betrag des Gehaltes des Schultheißen und der Mitglieder des Regierungsrathes, so wie die Gehaltszulage der Präsidenten der Departemente bestimmen.

65. Unter dem Regierungsrathe stehen sieben Departemente, zu Vorbehaltung der Geschäfte und zu Vollziehung der an sie gelangenden Aufträge, welche durch das absolute und geheime Stimmenmehr von dem großen Rathe erwählt werden. Nämlich:
1) Ein diplomatisches Departement.
2) Ein Departement des Innern.
3) Ein Justiz- und Polizeidepartement.
4) Ein Finanzdepartement.
5) Ein Erziehungsdepartement.
6) Ein Militairdepartement.
7) Ein Baudepartement.

66. Der Präsident und der Vicepräsident der Departemente müssen aus der Mitte des Regierungsrathes erwählt werden.

Das Gesetz bestimmt die innere Organisation und die Amtsverrichtungen dieser Departemente, so wie die Zahl und die Amtsdauer ihre Glieder. Doch soll nie die Mehrzahl eines Departements aus Mitgliedern des Regierungsrathes bestehen.

67. Das Gesetz ordnet die Verhältnisse der Kanzlei des Regierungsrathes und der Secretariate der Departemente.

68. Alle Beschlüsse des Regierungsrathes, die sich auf einzelne Personen oder Corporationen beziehen, sollen motivirt werden.

69. Der große Rath erwählt alljährlich durch das geheime und absolute Stimmenmehr sechszehn Glieder aus seiner Mitte, die nicht Glieder des Regierungsrathes sind, um an allen Vorberathungen über Verfassungsgegenstände und über Gesetze, die sich auf den Staatsorganismus beziehen, an den Wahlen des Regierungsrathes, welche das Gesetz bestimmen wird, und endlich an den Verhandlungen über die Bestätigung oder Abberufung derjenigen Staatsbeamten, zu deren Erwählung sie mitgewirkt haben, mit gleichem Rechte, wie die ordentlichen Glieder des Regierungsrathes, Theil zu nehmen.

Die gleichen sechszehn Glieder können in dem darauf folgenden Jahre nicht wieder gewählt werden. Sie dürfen weder unter sich, noch mit einem Gliedes des Regierungsrathes in einem Grade verwandt oder verschwägert sein, welchen der Artikel 63 ausschließt.

70. Der mit den Sechszehnern vereinte Regierungsrath ernennt durch geheimes, aber absolutes Stimmenmehr aus der Gesammtheit aller Staatsbürger, für jeden Amtsbezirk einen Regierungsstatthalter, welcher unter der Leitung des Regierungsrathes die Vollziehung der Gesetze und Verordnungen, die Verwaltung und die Polizei in dem Amtsbezirke besorgt, insoweit diese nicht ausdrücklich einer andern Behörde oder Beamtung für den einen oder andern Zweig übertragen sind.

71. Die Amtsdauer des Regierungsstatthalters ist auf sechs Jahre festgesetzt. Er ist sogleich wieder wählbar, jedoch nocht für den gleichen Amtsbezirk; es sei denn, daß seine Wiedererwählung von der Wahlversammlung dieses Amtsbezirkes gewünscht werde.

Das Gesetz bestimmt seine Amtsbefugnisse und Pflichten, die Organisation seiner Kanzlei und seinen Gehalt, der mit keinen Sporteln verbunden seyn soll.

72. Die nöthigen Unterstatthalter werden aus einem doppelten Vorschlage der stimmfähigen Glieder der Gemeinden des Bezirks seiner Amtsverwaltung, bei welchem jedoch die Vorgesetzten nicht mitstimmen, und aus einem doppelten Vorschlage der sämmtlichen Vorgesetzten des nämlichen Bezirkes, von dem Regierungsstatthalter gewählt.

Die Amtsdauer der Unterstatthalter ist auf vier Jahre festgesetzt; dieselben sind aber sogleich wieder wählbar.

Wird ein Gemeindsvorgesetzter zum Unterstatthalter ernannt; so hört er auf, Gemeindsvorgesetzter zu seyn; doch kann er sogleich wieder als solcher erwählt werden.

Abschnitt 3
Richterliche Gewalt.

73. Der große Rath erwählt aus allen Staatsbürgern, welche die in dem Artikel 35 der Verfassung vorgeschriebenen Eigenschaften haben, die zugleich rechtskundige Männer und beiden Sprachen mächtig sind, durch das geheime und absolute Stimmenmehr für die ganze Republik ein Obergericht, welches aus einem Präsidenten und zehn Mitgliedern bestehen.

Auf die gleiche Weise ernennt er zu Vertretung abwesender Mitglieder vier Suppleanten durch das geheime, absolute Stimmenmehr.

Der Vicepräsident des Obergerichts wird durch das geheime und absolute Stimmenmehr des Obergerichtes selbst aus seiner Mitte erwählt.

74. Die Amtsdauer des Präsidenten ist fünf, und die eines jeden Oberrichters fünfzehn Jahre. Die letztern werden zum allmähligen Austritte in drei Classen getheilt, von denen je eine alle fünf Jahre austritt. Der Präsident, so wie die austretenden Glieder, sind sogleich wieder wählbar.

75. Der Ausschluß wegen Verwandtschaft oder Schwägerschaft hat für das Obergericht gleich Statt, wie für den Regierungsrath.

76. Dem Obergericht wird ein Staatsanwalt als öffentlicher Ankläger beigeordnet, dessen Amtsdauer, Eigenschaften, Wahl und Amtsverrichtungen das Gesetz bestimmt.

77. Eben so wird das Gesetz die Organisation der Kanzlei des Obergerichts, wie auch die Gehalte des Präsidenten, der Oberrichter, des Staatsanwalts und der Kanzleibeamten bestimmen.

78. Das Obergericht entscheidet in höchster Instanz alle Streitfälle, die seinem Gerichtsstande nicht ausdrücklich durch die Verfassung oder durch das Gesetz entzogen sind, und die vor selbiges appellirt werden. Es beurtheilt in höchster Instanz alle vor dasselbe gezogene Fehler und Vergehen, die nicht den Competenz einer untern Gerichtsbehörde unterliegen. Es beurtheilt endlich in höchster Instanz alle Verbrechen ohne Ausnahme.

In allen Straffällen soll das Obergericht, falls der Angeschuldigte sich selbst zu vertheidigen oder vertheidigen zu lassen begehrt, erst nach Anhörung der Vertheidigung unrtheilen.

Wenn es sich um ein Verbrechen handelt, welches die Todesstrafe zur Folge haben kann; so sollen die vier Suppleanten an den Verhandlungen des Obergerichts Theil nehmen und bei der Ausfällung des Urtheils mitstimmen.

Sollten die Suppleanten nicht hinreichen, um die gesetzlich vorgeschriebene Zahl der Richter zu vervollständigen; so wird diese Vervollständigung auf eine durch das Gesetz zu bestimmende Weise Statt finden.

Eben so wird das Gesetz die innere Organisation des Obergerichts und seinen Geschäftsgang ordnen.

79. Die Sitzungen des Obergerichts sind öffentlich, ausgenommen in Fällen, wo das Staatswohl oder die Sittlichkeit eine öffentliche Verhandlung untersagen. Während der Dauer der Berathung und der Ausfällung des Urtheils treten aber die Zuhörer, die Parteien und ihre Anwälte ab.

80. Dem Gesetze ist vorbehalten, für das ganze Gebiet der Republik höchstens sechs peinliche Gerichte aufzustellen, welche alle Verbrechen erstinstanzlich beurtheilen.

Ihre Zahl, Organisation, ihre Amtsbefugnisse und ihren Geschäftsgang, so wie die Aufstellung eines Untersuchungsrichters in jedem dieser Gerichtsbezirke, wird das Gesetz bestimmen.

81. In jedem Amtsbezirke und in jedem durch das Gesetz ausnahmsweise bezeichneten Gerichtskreise ist ein Amtsgericht, welches aus einem Präsidenten, vier Amtsrichtern und zwei Suppleanten besteht.

82. Zur Wahlfähigkeit für die Stelle eines Mitgliedes des Amtsgerichts oder eines Suppleanten ist, nebst den Eigenschaften zur Stimmfähigkeit in einer Urversammlung, das Alter von zurückgelegten neun und zwanzig Jahren erforderlich.

Der Präsident soll überdies ein rechtskundiger Mann seyn.

83. Die Wahlversammlung des Bezirks, welchen es betrifft, macht für die Erwählung des Präsidenten des Amtsgerichts einen doppelten Vorschlag. Dieser kann durch das Obergericht mit zwei Candidaten vermehrt werden. Aus diesem doppelten oder vierfachen Vorschlage wählt der Regierungsrath, vereint mit den Sechszehnern, den Präsidenten des Amtsgerichts.

84. Die vier Amtsrichter und die zwei Suppleanten werden durch geheimes und absolutes Stimmenmehr von der Wahlversammlung des Gerichtsbezirkes ernannt.

Die gleichen Grade von Verwandtschaft und der Schwägerschaft schließen aus, wie bei dem Obergerichte.

85. Die Amtsdauer des Präsidenten, der Amtsrichter und der Suppleanten ist sechs Jahre. Der Eine und die Andern sind aber sogleich wieder wählbar.

86. Das Gesetz wird die Organisation, den Geschäftsgang und die Gehalte des Präsidenten, so wie der Amtsrichter, bestimmen. Diese Gehalte dürfen weder für den Einen, noch für den Andern in Sporteln bestehen.

87. Das Amtsgericht beurtheilt in erster Instanz alle Streitfälle, die seinem Gerichtsstande nicht ausdrücklich entzogen sind, und ohne Appellation diejenigen, welche das Gesetz seiner Competenz unterwerfen wird. Es beurtheilt auf die gleiche Weise die Vergehen.

Es beurtheilt endlich in erster Instanz alle Verbrechen, bis die peinlichen Gerichte aufgestellt sind.

In allen Straffällen soll das Gericht, falls der Angeschuldigte sich selbst zu vertheidigen oder vertheidigen zu lassen begehrt, erst nach Anhörung der Vertheidigung urtheilen.

Dei Bestimmungen des Artikels 79, die Öffentlichkeit der Verhandlungen betreffend, sind auch auf die Amtsgerichte anwendbar.

88. Der Präsident einzig versieht die Amtsverrichtungen, welche das Civilgesetzbuch dem Richter überträgt.

Er beurtheilt ferner als Polizeirichter diejenigen Fehler oder Frevel, die nicht in die Classe der Vergehen fallen, und zwar die geringsten, welche das Gesetz seiner Competenz unterwerfen wird, in letzter Instanz, und mit Vorbehalt der Weiterziehung, unmittelbar vor das Obergericht, diejenigen, welche diese Competenz nach dem Gesetze übersteigen.

89. Das Gesetz soll über die Anstalten von Friedensrichtern oder Friedensgerichten die angemessenen Verfügungen treffen.

90. Eben so soll das Gesetz die nöthige Anzahl von Handelsgerichten aufstellen, so wie Kriegsgerichte für Militairpersonen im activen Dienste. Die Einrichtung, die Amtsbefugnisse und den Geschäftsgang von beiden wird das Gesetz gleichfalls bestimmen.

91. Außer den in der Verfassung benannten Gerichtsstellen sollen keine errichtet oder angerufen werden.

92. Alle Urtheile sollen motivirt werden.

Titel 4
Gemeindswesen.

93. Die gegenwärtige Eintheilung der Amtsbezirke in Kirchspiele und Gemeinden bleibt beibehalten. Dieselbe kann nur durch das Gesetz, nach jeweiliger Anhörung der Betheiligten, abgeändert werden.

94. Die Gemeindsversammlungen wählen die sämmtlichen Gemeindsvorgesetzten. Die Amtsdauer der Letztern soll höchstens auf sechs Jahre festgesetzt werden; jedoch sind dieselben sogleich wieder wählbar.

In jeder Kirchgemeinde oder jedem Gemeindsvereine sollen je nach den Bedürfnissen, die zur Besorgung der Gemeindsangelegenheiten im Allgemeinen, des Vormundschaftswesens, der Armenpflege, der Ortspolizei, der Sittenpolizei, des Schulwesens, so wie der nicht streitigen Gerichtsbarkeit erforderlichen Gemeindsbehörden nach Anleitung des Gesetzes aufgestellt werden.

Alle Gemeindsverfassungen müssen der Genehmigung des Regierungsrathes unterworfen werden, welcher befugt seyn soll, aus besondern Gründen, jedoch nur in Betreff der Organisation der Behörden, Abweichungen von der gewöhnlichen Regel zu gestatten.

Alle Bürgergüter sollen ausschließlich unter der Verwaltung der Bürger der betreffenden Gemeinde stehen; auch sollen sie als Privateigenthum angesehen werden, über welches die Regierung blos das Recht der Oberaufsicht auszuüben hat.

Titel 5
Veränderung der Verfassung.

95. Vor dem Ablaufe von sechs Jahren, von der Einsetzung des großen Rathes an gerechnet, soll kein Antrag auf Veränderung der Verfassung abgenommen werden.

96. Nach Verfluß dieser sechs Jahre können Abänderungen der Verfassung auf dem Wege der Gesetzgebung Statt haben.

Ein Gesetzesvorschlag dieser Art ist einer zweimaligen Berathung durch den großen Rath zu unterwerfen, welcher zu diesen Berathungen in der Zahl von wenigstens zwei Dritteln der Gesammtzahl seiner Mitglieder versammelt seyn muß. Es soll auch die zweite Berathung nicht früher, als nach Verfluß eines Jahres nach der ersten Statt finden.

Wird alsdann der Vorschlag ganz oder mit Abänderungen angenommen; so ist das diesörtige Gesetz der Gesammtheit der Staatsbürger in den Urversammlungen zur Annahme oder Verwerfung vorzulegen. Wird der Gesetzesvorschlag von der Mehrzahl der in den sämmtlichen Urversammlugnen stimmenden Staatsbürger angenommen; so soll derselbe von dieser Annahme hinweg die gleiche Kraft und Unverletzbarkeit haben, wie alle andere Artikel der Verfassung.

    Also berathen und endlich beschlossen in Bern, den 6. Juli 1831.

Der Präsident des Verfassungsrathes:
Tscharner.

Die Secretairs des Verfassungsrathes:
J. A. Watt.
R. Wyß.
E. Neuhaus.
Joh. Ludw. Schnell.

Die Verfassung wurde am 31. Juli 1831 in einer Volksabstimmung mit 27802 gegen 2152 angenommen. Sie war die erste Verfassung Berns, die die Volkssouveränität verfassungsrechtlich festgelegt hat.
 


Quellen: K.H.L. Pölitz, Die europäischen Verfassungen seit dem Jahre 1789, Brockhaus Leipzig 1833
© 6. Juni 2005
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